Warum ich in Deutschland glücklich bin
- und trotzdem immer wieder wegmuss„Wo geht es als nächstes hin?“ - die Frage, die mir auf jeder Familienfeier als erstes gestellt wird. Schon immer war ich die Person, die vom Reisen nie genug bekommen konnte. Die Person, die sich in Deutschland fremd gefühlt hat und die Person, die sich nach dem Abi nichts sehnlicher gewünscht hat, als endlich weg zu kommen. Also ging es 2020 für mich für 2 Jahre in die USA. Meine Gastmutter hat mir einmal gesagt: Heimat ist nicht unbedingt dort, wo man geboren wurde, sondern dort, wo das Atmen leichtfällt. Die Menschen, die ich dort so liebgewonnen hatte, dann wieder zu verlassen, war für mich das Schlimmste. Denn auch wenn man weiß, dass man zurückkommen und sie wiedersehen kann, ist da dieser ständige Gedanke in deinem Kopf: Was, wenn ich das nicht kann? Ich habe so viele Menschen aus der ganzen Welt kennen gelernt. Ich habe neue Freunde gefunden, die mir Kulturen und Religionen und Teile der Welt gezeigt haben, die ich noch nie gesehen habe. Die Menschen, die mir geholfen haben, mich selbst zu finden. Und dann kommt der Moment, in dem einem klar wird, dass das alles nicht ewig dauern wird. Und wenn du nach Hause kommst, scheint irgendwie alles so, als wärst du nie weg gewesen. Aber gleichzeitig ist alles anders. Du siehst die vertrauten Straßen und Gebäude. Du siehst die Menschen wieder, mit denen du beim Abschied vor 2 Jahren mit den Tränen gekämpft hast. Du kehrst langsam zum normalen Leben zurück, das du früher geführt hast. Aber deine Freunde? Sie sind nicht mehr dieselben. Du bist nicht mehr dieselbe. Und alle haben so schnell die Nase voll davon, dass du ständig nur über die USA redest. Denn niemand wird jemals nachvollziehen können, wie prägend es für dich wirklich war.
Ich erweiterte meine ersten Auslandserfahrungen in einem erste-Welt-Land mit denen eines dritte-Welt-Landes. Ich tauschte mein Auto gegen einen Roller, Verkehrsregeln gegen das pure Chaos, Pünktlichkeit gegen „mal sehen, ob ich überhaupt komme“ und sauberes Wasser gegen ständige Lebensmittelvergiftungen. Aber ich tauschte auch ausgebaute Straßen gegen Vulkane und Reisterassen, Kirchen gegen Tempel und Stress gegen Ruhe. Abgesehen von den Geckos natürlich, die einem unbedingt in der Nacht von ihrem Tag erzählen wollten und dem lauten Verkehr, der zu keiner Zeit zu stoppen war. Aber ich rede auch nicht von der Ruhe vor Geräuschen. Ich rede von einer inneren Ruhe, welche von den Einheimischen weitergegeben wird. Einer Gelassenheit und einer Toleranz, die ich in noch keiner anderen Kultur so stark wahrgenommen habe. Es ist egal, wie man aussieht, wo man herkommt, oder welcher Religion man angehört- in Bali wird jeder Mensch mit Respekt behandelt. Auf dieser einen kleinen Insel mitten im indischen Ozean bekommt man fast das Gefühl, als wäre Weltfrieden doch nicht so unmöglich und mir ist schnell aufgefallen, dass die Bewohner Indonesiens etwas besitzen, was mir in Deutschland so sehr gefehlt hat: Menschlichkeit.
Leider verlief mein Auslandssemester etwas anders als geplant, denn ich reagiere allergisch auf Sonne. Mit einem durchschnittlichen UV-Index von 11+, war die Wahl meines Reisezieles im Nachhinein wohl nicht ganz so gut durchdacht. Im ersten Monat habe ich das Krankenhaus dort öfter gesehen als die Uni und auch ein knappes Jahr später erinnern mich die Narben auf meiner Haut noch immer an die unerträglichen Schmerzen. Aber ausnahmslos jeder Arzt hat alles gegeben, um mich wieder fit zu bekommen. Während man in Deutschland mehrere Wochen auf einen Arzttermin wartet und mit unsagbar viel Papierkram hingehalten wird, wurde ich in Bali innerhalb von nur 24h zu mehreren Spezialisten gereicht. Es wurde sich untereinander abgesprochen, die Schwestern haben Blutwerte ermittelt und sich um meine Brandwunden gekümmert. Jeder Arzt hat sich die Zeit genommen, mich über die verschiedenen Medikamente aufzuklären, die mir verschrieben wurden und das, obwohl die Sprachbarriere kaum zu leugnen war. Einmal musste ich mitten in der Nacht in die Notaufnahme und wisst ihr, was der Arzt zu mir gesagt hat?: Dass er für seine Beratung KEINE Bezahlung möchte. Denn hier zählt ein Mensch noch mehr als Geld. Und das, obwohl die Einwohner oft selbst nichts haben. Die Armut wird einem an jeder Ecke bewusst, die außerhalb der Touristengegend liegt, und trotzdem scheinen sie so viel glücklicher zu sein, als wir in der westlichen Welt. Und vor Allem dankbarer. Ich erinnere mich oft an den Moment zurück, an dem ich einem Grab-Fahrer (Grab= Taxi) umgerechnet 2 Euro Trinkgeld gab. Er hat geweint vor Freude, weil es für ihn so viel Geld war. Ist das nicht frech, dass mir so ein kleiner Griff in die Tasche nicht einmal auffällt, während es für ihn entscheidend darüber ist, ob seine Kinder an diesem Abend eine warme Mahlzeit zu sich nehmen können?
Ich bin ehrlich… oft habe ich mir gewünscht, ich wäre nie nach Bali gegangen. Durch meine Sonnenallergie hatte ich dort offen gesagt eine der schlimmsten Zeiten meines Lebens und ich bin mir sicher, dass es in einem anderen Land, ferner vom Äquator, sehr viel angenehmer geworden wäre. Aber die Wahrheit ist: Ich habe diese Erfahrung gebraucht, denn ohne Bali wäre ich in Deutschland immer noch unglücklich. Wir, in der westlichen Welt, leben in einer für andere unvorstellbaren Realität. Ich meine, was ist es für ein Privileg, sich nicht entscheiden zu können, was man heute essen will? Sich mit seinen Eltern über sinnlose Sachen streiten zu dürfen? Früh morgens sein warmes Bett verlassen zu müssen, um rechtzeitig in der Uni sitzen zu können? Und was für ein Privileg ist es, dass ich keine Ahnung habe, was ich mit dem Rest meines Lebens anstellen soll, weil ich so viele Möglichkeiten habe? Weil mir die Welt offen steht? Manchmal braucht es eben einfach einen kleinen Perspektivwechsel auf die eigenen Probleme, um zu sehen, wie dankbar man sein kann. Und ich hoffe, dass auch ihr, wenn ihr das lest, euch einmal darüber Gedanken macht, was wirklich wichtig ist. Ich für meinen Teil kann nun zumindest nach 22 Jahren endlich sagen: Ich bin glücklich in Deutschland. Aber um das auch zu bleiben, werde ich mich bestimmt das ein oder andere mal nochmal in die Weite Welt begeben müssen. Ihr wisst schon- um mir neue Perspektivwechsel zu suchen. 😉
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