Bild vom Shanghai God's Tempel

Eine unter 1,4 Milliarden Menschen

Mai Huyen Nguyen2025, Begegnungen, Culture Clash Leave a Comment

Eine unter 1,4 Milliarden Menschen

Der Sprung ins Unbekannte
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17. Januar 2025

„Bist du dir sicher, dass du nach China gehen möchtest?!“

Dieser Satz prasselte wochenlang vor meinem Abflug auf mich ein. Viele meinten es gut, andere waren skeptisch: „Da hast du doch keine Freiheiten!“ oder „Da wirst du die ganze Zeit überwacht!“ Aber ich war fest entschlossen.

Und so stand ich am 20. Februar 2024, mit einem Flugticket in der einen und meinem Reisepass in der anderen Hand, bereit für einen 14-stündigen Flug nach Shanghai – in ein Land, das so anders ist, dass es mich sowohl magisch anzog als auch ein wenig abschreckte.

Der erste Eindruck: Einsamkeit in der Masse

Kaum in China angekommen, fühle ich mich wie auf einem anderen Planeten. Der Flughafen war riesig, alles war in chinesischen Schriftzeichen geschrieben, und Englisch? Fehlanzeige. Mein erster "Test" bestand darin: einen Taxifahrer mit einem Schild zu finden, auf dem mein Name stand. Zwei Stunden nach Changshu lagen vor mir und diese verliefen in absoluter Stille - wir sprachen nicht dieselbe Sprache. In diesem Moment hatte ich keine Ahnung, wie ich die kommenden sechs Monate bewältigen sollte, wenn die Verständigung schon jetzt scheiterte. Die echte Herausforderung begann am selben Tag: kein Empfang. VPN funktionierte auch nicht. Plötzlich war ich abgeschnitten von allem, was mir vertraut war. Die digitale Welt, auf die ich sonst baute, war unerreichbar. Ich fühlte mich gefangen in einer Bubble, abgeschottet durch Chinas "Great Firewall". Ihr fragt euch jetzt bestimmt: "Warum hast du nicht einfach einen Übersetzer benutzt?" Tatsächlich war mir von Anfang an klar, dass ich ein VPN benötigen würde, um in China überhaupt zurechtzukommen. Aber mein Google Handy brachte unerwartete Einschränkungen mit sich. Am Ende blieb mir nichts anderes übrig, als mir vor Ort ein gebrauchtes Handy zu besorgen, um die notwendigen chinesischen Funktionen nutzen zu können.

Zwischen Zugehörigkeit und Fremdsein

Als Deutsche mit vietnamesischem Hintergrund hätte ich gedacht, dass ich in China weniger auffalle. Doch weit gefehlt. Mein Kleidungsstil, mein Verhalten - alles verriet, dass ich "anders" war. Mit meinen schwarzen Haaren und asiatischen Gesichtszügen wurde ich oft als "Einheimische" wahrgenommen - zumindest auf den ersten Blick. Doch schon mein Auftreten und die Tatsache, dass ich kein Chinesisch sprach, machten klar: Ich gehöre nicht dazu. Dieses Missverständnis hatte zwei Seiten. Es öffnete Türen, weil viele Chinesen neugierig und zugänglich waren, aber es ließ mich auch spüren, wie fremd ich wirklich war. In Deutschland fühlte ich mich aufgrund meiner Wurzeln "anders", hier war ich noch einmal anders - und das war ungewohnt. Alltägliche Dinge wie Einkaufen wurden zu Abenteuern. Ob auf Nachtmärkten, in Supermärkten oder in Shoppingmalls - ich war immer ein besonderer Anblick. Die Menschen beobachteten mich, manche lächelten, andere sprachen mich an. Immer wieder erlebte ich die Annahme: "Du siehst aus wie wir, also musst du doch unsere Sprache sprechen." Aber genau das tat ich nicht.

Alltag in einer anderen Welt

Die Neonlichter vom Nachtmarkt in Changshu verschwinden hinter mir, während ich mich auf dem Weg zur Universität mache. Mein Herz schlägt schneller. Heute steht etwas Besonderes an: Ich werde meinen ersten Deutschunterricht für chinesische Studierende halten. Eine fremde Rolle in einem fremden Land – und ich frage mich, ob ich dem gewachsen bin.
Der Klassenraum ist klein, schlicht, und trotzdem strahlt er eine gewisse Wärme aus. Zur linken Seite ein Bildschirm, zur rechten Seite die Auszeichnungen, die die Partnerschaft zwischen der Hochschule Mittweida und der Changshu Institute of Technology Universität würdigen. Die Gesichter der Studierenden wirken konzentriert, aber auch angespannt. Als ich eintrete, schauen sie mich neugierig an. Viele sind zurückhaltend, manche wirken fast ängstlich. Mir wird bewusst, dass ich für einige von ihnen die erste ausländische Person bin, der sie je begegnet sind.

Ich beginne die Stunde mit einer lockeren Vorstellungsrunde. Doch schon hier spüre ich die kulturelle Distanz: Die Antworten der Studierenden sind knapp, fast scheu. In einer Pause sagt mir eine Studentin leise: „You are living my dream.“ Sie hatte aufmerksam zugehört, als ich von meinen Reisen und meinem Studium in Deutschland sprach. Für sie klang mein Leben wie ein unerreichbarer Traum. Für die meisten von ihnen sind Reisen ins Ausland oder ein Studium fernab ihrer Heimat unvorstellbar – eingeschränkt durch gesellschaftliche Strukturen, finanzielle Hürden und die Mentalität des kollektiven Denkens. Ich erkenne, wie privilegiert ich bin, selbst zu entscheiden, welchen Weg ich gehe. Gleichzeitig macht mich ihre Bewunderung traurig. Ihre Träume sind groß, doch oft bleiben sie nur Träume.

Am Ende der Stunde bedankt sich ein Student bei mir, winkt leicht mit seiner Hand und sagt: „See you.“ Es war keine große Geste, aber für mich bedeutsam.

China zwischen Vorstellung und Wirklichkeit

China hat mich mit seinen Gegensätzen beeindruckt. Es war faszinierend, wie Offenheit und Abschottung, Technologie und Tradition nebeneinander existierten. Während in Deutschland das Handy teilweise ein noch optionales Hilfsmittel darstellt, ist es in China unverzichtbar. Gleichzeitig entdeckte ich durch diese Einschränkung mehr von der Welt um mich herum. Die kulturellen Unterschiede waren manchmal herausfordernd, aber auch bereichernd. Zum Beispiel ist die Idee von persönlicher Distanz hier anders - Menschen standen oft sehr nah, doch das war nie unhöflich gemeint. Es war einfach Teil der Kultur, die mich immer wieder überraschte und zum Nachdenken brachte.
Bild von Suzhou Old Town
Suzhou Old Town
Bild von der Suzhou Pinjiang Street
Suzhou Pinjiang Street

    Eine Reise, die mich verändert hat

    Meine Zeit in China war nicht immer einfach. Ich fühlte mich oft verloren, fremd und isoliert. Doch genau diese Erfahrungen haben mich geprägt. Ich habe gelernt, wie wichtig es ist, sich auf andere Perspektiven einzulassen, und wie tief Klischees oft in unserer Wahrnehmung verankert sind. China ist nicht das Bild, das wir oft in westlichen Medien sehen. Es ist ein Land voller Widersprüche, voller Schönheit, voller Menschen, die genauso neugierig auf die Welt sind wie ich auf ihre. Die Reise nach China war keine einfache Entscheidung, aber sie war die richtige. Sie hat mich verändert - und ich hoffe, dass meine Geschichte auch euch inspiriert, den Sprung ins Ungewisse zu wagen.
    Bild von Chongqing City
    Chongqing City
    Bild von der Shanghai Skyline
    Shanghai City
    Bild vom Longjing Teahouse in Hangzhou
    Hangzhou Longjing Teahouse

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