Lost in Translation
Ratlos starre ich die Frau hinter der Rezeption im Krankenhaus an und wiederhole „Perdon, no hablo espanol.“ (Entschuldigung, ich spreche kein Spanisch). Sie antwortet mir auf Spanisch - ohne jedoch langsamer zu sprechen – und ich verstehe wieder kein Wort. Ich wiederhole mich, versuche dann aber meine Frage in gebrochenem Spanisch zu formulieren. Auch diesmal verstehe ich nicht, was sie mir antwortet. Als ich sie nur verwirrt ansehe, zuckt sie die Schultern und schaut mich unsicher an. Frustriert verlasse ich das Gebäude. Das kann ja heiter werden.
Aber wie und wo bin ich hier eigentlich gelandet?
Nun ja, ich dachte, dass ich mit den Grundlagen der Landessprache und ein bisschen Englisch schon irgendwie durchkomme. Einige Monate Spanischkurs und viele Abende mit einer Sprachlernapp später finde ich mich also nun im Auslandssemester in Bilbao in Nordspanien wieder. Ein Land macht schließlich weit mehr als seine Sprache aus, denn dazu gehören auch die Menschen, die Kultur, die Landschaft, …
Und solche Zusammenstöße mit der Sprachbarriere sind zum Glück auch nur selten vorgekommen, aber sie sind eben passiert. Ich erzähle dir davon, weil ich bei meinem ERASMUS das erste Mal in meinem Leben mitbekommen habe, wie es ist, in einem Land zu leben, dessen Sprache man nicht spricht. Das Gefühl, nicht kommunizieren zu können, auch wenn man es versucht, hat mir ziemlich den Boden unter den Füßen weggerissen. Supermarktbesuche? Plötzlich eine kleine Herausforderung. Krankenhausbesuch? Nun ja, das hast du ja schon mitbekommen. Nicht alle Bereiche des Lebens sind so gut auf „Touristen“ eingestellt wie Cafés und Souvenirshops. Aber während meiner Zeit in Spanien habe ich mich nicht nur an diese Sprachebarriere gewöhnt, sondern auch die Kultur durch die Sprache ein Stück besser kennengelernt. Wie? Das werde ich nun an drei Situationen schildern.
sobremesa - tradition
Ich wohnte gemeinsam mit meinen drei Mitbewohnerinnen, die aus Spanien kamen, zusammen. Gesprochen haben wir auf Englisch, kleinere Wissenslücken wurden mit wilden Gestiken und witzigen Umschreibungen übergangen und somit haben wir uns eigentlich immer verstanden. Sobald ich mit im Raum war, haben sie von selbst immer ins Englische gewechselt – auch wenn ich eigentlich gar nicht am Gespräch beteiligt war. Ich bin mir nicht sicher, ob ihnen bewusst war, wie viel mir das bedeutete, aber dadurch habe ich mich direkt aufgenommen und nie ausgeschlossen gefühlt. Auch sonst haben wir uns super verstanden - mehr Glück mit meinen Mitbewohnerinnen hätte ich eigentlich gar nicht haben können.
Oft saßen wir nach dem Essen noch lange zusammen und haben über alles Mögliche geredet. Die herzliche Aufnahme hat dafür gesorgt, dass ich mich richtig wohl gewühlt habe – und eigentlich so gar nicht fremd. Einige Monate später habe ich gelernt, dass es im Spanischen sogar ein Wort für die Zeit entspannter Unterhaltungen und dem Beisammensein nach einer Mahlzeit gibt: sobremesa. In der spanischen Kultur hat die gemeinsame Zeit nach dem Essen eine besondere Bedeutung. Statt hastig zu Mittag- oder Abendessen zu sich zu nehmen und dann wieder getrennter Wege zu gehen, verweilen die Menschen oft noch mit Freunden und Familie am Tisch. Eine wörtliche Übersetzung gibt es dafür im Deutschen nicht. Aber eigentlich könnte man sich von dieser Tradition doch inspirieren lassen, oder?
Und das sollte nicht das einzige Wort sein, was ich im Laufe meines Auslandsaufenthaltes kennenlernen würde, für das es keine richtige Übersetzung gab.
Xirimiri - Natur
In Spanien gibt es vier anerkannte Landessprachen, Baskisch (eurskera) ist eine davon und Europas älteste, noch lebende Sprache. Im Alltag bemerkt man diese Sprachenvielfalt innerhalb des Landes vor allem auf Straßenschildern, Postern und manchmal auf Speisekarten. Im Supermarkt oder Cafés wird sich meist mit „agur“ statt „adios“ verabschiedet.
Das Baskenland ist neben der Sprache vor allem für seine Natur bekannt und wird deswegen oft auch als das „grüne Spanien“ bezeichnet. Eine Nebenerscheinung davon ist der häufige Regen.
DUENDE - ein Gefühl
Im Moment sein, Tränen in den Augen, eine tiefe Ergriffenheit und die Gewissheit, dass alle um dich herum, sich gerade genauso fühlen. Das Gefühl bei einem Konzert, beim Ansehen eines Theaterstückes oder beim Anhören von vorgetragener Poesie – dafür gibt es ein Wort. „Duende“ bezeichnet die schwer zu erklärende Emotion, die Verzauberung, die typisch für darstellende Künste ist. Man kann fast von einer Synchronisation der Emotionen sprechen, die von den Künstler:innen ausgeht. Das Wort ist eng mit der Kunst des Flamenco verbunden, die in Spanien (Andalusien) entstand, ist aber nicht nur da zu erleben.
Wenn ich überlege, wie oft ich mich schon so gefühlt habe, fallen mir tausende Situationen ein. Besonders prägend war aber wahrscheinlich mein letzter Abend in Bilbao, als ich abends durch die Stadt gelaufen bin und diese Straßenmusiker entdeckt habe. Die Musiker haben zufällig eines meiner Lieblingslieder gespielt, sodass ich mich direkt dazu setzte und gemeinsam mit den anderen Zuhörer:innen der Musik lauschte und eine Gänsehaut bekam. Irgendwie bewegt mich der Gedanke daran, dass es in einer anderen Sprache, die nicht meine Muttersprache ist, eine Bezeichnung für dieses Gefühl gibt.
Sprache, Kultur und menschsein
In meinem Auslandssemester ist mir bewusst geworden, wie Sprache sich auf mich – auf uns – auswirken kann. Sprache hat so viel Macht, die wir oft unterschätzen. Wir können Menschen ausgrenzen, auch wenn wir das nicht beabsichtigen. Wir können Respekt einer Kultur gegenüber zeigen, wenn wir im Urlaub oder für eine längere Zeit im Ausland sind, indem wir Grundkenntnisse der Landessprache(n) beherrschen. Wir können die Kultur durch ihre Sprache kennenlernen. Denn Wörter und Redewendungen verraten immer auch etwas über die Kultur, aus der sie kommen. Wir können Wörter entdecken, die in unserer Muttersprache nicht existieren, die aber unsere menschliches Dasein, Gefühle und Phänomene am besten beschreiben.
So kam es, dass ich mich in die Sprache und Kultur Spaniens verliebt habe.
Aber auch die Stadt Bilbao selbst hat es mir angetan. Sie ist umrandet von Bergen, an der Küste gelegen und vor allem für die schönen Architektur bekannt. Ich wohnte in der Nähe der Altstadt, die schnell zu meinem Lieblingsort wurde, um mich mit Freunden zu treffen, herumzulaufen und die Sonne zu genießen. An einem Samstagmorgen entstand dabei dieses Video.
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Alle Fotos und Videos wurden von Maxie Schreier aufgenommen.