Hals und Beinbruch
Wie man vom Boden wieder aufsteht5. Juni 2023
Schock
Ein ganz normaler Morgen in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul, doch dies sollte sich bald ändern. Als ich die Sprachnachricht von meinem besten Freund abspielte und dabei das Doppelstockbett herunter stieg, geschah es.
KNACK
Es war ein Moment, der nur Millisekunden dauerte, aber schwerwiegende Folgen haben würde. In dem Augenblick, als mein Fuß den Boden, genauer gesagt den Rand eines Hausschuhs, erreichte, knickte ich um. Der Schmerz war gering, der Schock jedoch umso größer. Ich ruhte für einen kurzen Moment auf dem Bett, bis ich mich bereit fühlte, wieder aufzustehen.
Als ich mich wieder aufrichtete und ein paar Schritte durch das Zimmer ging, wurde mir klar: Meinem Knöchel geht es zum Glück gut, und mein Fuß fühlt sich an, als würde ich auf einem Polster laufen.
Dennoch verdrängte ich die vergangenen Minuten und entschied mich nach dem Motto "Das laufe ich einfach weg", den Tag in einem Papageien-Café zu verbringen. Ein paar Stunden später befand ich mich in einer regelrechten Krisensitzung bei McDonald's. Der Schmerz in meinem Fuß war unverändert, und er zeigte ein zunehmend farbenfrohes Muster. Obwohl ich ursprünglich skeptisch gegenüber einem Krankenhausbesuch war, überredeten mich meine Freunde zur Vernunft. Im nächsten Moment saß ich im Taxi auf dem Weg zum Kyung Hee University Medical Center.
Trotz der hohen Anzahl an internationalen Studierenden in der Umgebung, waren die Angestellten im Krankenhaus eher weniger bereit, mit mir in Englisch zu kommunizieren. Glücklicherweise war ich nicht allein, sondern eine Freundin mit sehr guten Koreanisch-Fähigkeiten, begleitete mich dorthin. Wir mussten lange auf ein Ergebnis warten, was die Ärzte wahrscheinlich mehr störte als uns. Währenddessen unterhielten wir uns nämlich und lachten herzlich. Das Lachen verstummte jedoch abrupt, als das Wort 부서지다 (brechen) fiel.
6. Juni 2023
Am Boden
Ich hatte gehofft, dass die vorherige Nacht nur ein Traum war, aber leider war dem nicht so – mein Mittelfußknochen war tatsächlich gebrochen. Nun befand ich mich erneut im Bus auf dem Weg zum Krankenhaus, um die vorläufige Stabilisation durch einen richtigen Gips ersetzen zu lassen. Diesmal war ich jedoch auf mich alleine gestellt. Überraschenderweise stellte die Sprachbarriere kein Problem dar. Obwohl mich dieselben Ärzte behandelten, die am Vortag ausschließlich Koreanisch gesprochen hatten, konnten sie heute perfekt Englisch. Vermutlich lag das daran, dass niemand anwesend war, der es für mich hätte übersetzen können.
Die folgenden Stunden und Tage erwiesen sich als äußerst deprimierend. Die amerikanischen Krücken erwiesen sich als wahrer Albtraum und verursachten mehr Schmerzen unter meinen Armen, als ich in meinem Fuß verspürte. Dies führte zu erheblichen Einschränkungen in meiner Mobilität, und ich war auf die Hilfe anderer angewiesen. Dadurch fühlte ich mich wie ein Klotz am Bein für meine Freunde. Selbst alltägliche Aufgaben wie das Holen von Essen in der Mensa, das Besorgen eines Kaffees to go oder das Tragen von Einkäufen wurden zu massiven Herausforderungen.
Hilflos. Verloren. Fremd.
Diese Zeit im Ausland markierte einen tiefen Tiefpunkt, und meine neue Hauptbeschäftigung bestand darin, den Tag im Bett zu verbringen – oder zumindest war das die ärztliche Anordnung.
Wie man wieder aufsteht
In den ersten Tagen nach meinem Unfall war ich mir nicht bewusst, dass ich nicht alleine mit meinen Problemen dastand. Es dauerte eine Weile, bis mir klar wurde, dass mein eigentlicher Kampf nicht mein gebrochener Fuß war, sondern meine pessimistische Einstellung. Es war an der Zeit, zu erkennen, dass es okay ist, Hilfe anzunehmen.
"Wir sind deine Freunde - Du bedeutest uns viel, also helfen wir gerne."
Diese Worte durchdrangen meine Gedanken und ließen mich verstehen, dass Unterstützung kein Zeichen von Schwäche ist, sondern ein Beweis für wahre Freundschaft.
Gemeinsam überlegten wir, wie wir bevorstehende Hindernisse bewältigen könnten. Wir erwarben ein Nackenstützkissen und teilten es in zwei Hälften, um es als Polsterung um die Krücken zu verwenden und somit die Schmerzen unter den Armen zu lindern. Auf diese Weise konnte ich auch längere Strecken problemlos bewältigen. Für den seltenen Fall von Regen hatten wir stets eine Plastiktüte dabei, um den Gips zu schützen. Seoul ist eine Stadt, die reich an Treppen ist, insbesondere wenn man häufig die Bahn nutzt. Daher planten wir Aktivitäten mit zusätzlicher Zeit ein und erkundigten uns im Voraus nach alternativen Routen, die weniger anspruchsvoll waren. Das bedeutete für uns vermehrte Nutzung des Busses.
In Seoul, einer Stadt mit einer großen Bevölkerung, in der jeder sein eigenes Leben führt, zeigten die Menschen Rücksicht auf meine Situation. Trotz des hektischen Alltags beschwerte sich niemand, wenn ich an der Kasse etwas länger benötigte. In der Bahn und im Bus wurde stets ein Sitzplatz für mich freigehalten, insbesondere wenn die reservierten Plätze für ältere Menschen, Verletzte oder Schwangere bereits besetzt waren. Die meisten Busfahrer warteten geduldig, bis ich mich gesetzt hatte, bevor sie ihren oft rasanten Fahrstil wieder aufnahmen.
Und so wurde die plötzlich auf den Kopf gestellte, fremde Welt für mich wieder normal.
23. Juni 2023
Von Wasser und Gips
Doch die größte Herausforderung stand noch bevor:
das WaterBomb Festival, eines der größten Festivals in Südkorea. Wie der Name bereits vermuten lässt, bleibt man bei dieser Veranstaltung nicht trocken – Wasserpistolen, Wasserwerfer und Co. sorgen dafür. Zwar klang es zunächst nach einem schönen Abschluss vor meiner Rückreise nach Deutschland, doch wie bekannt ist, darf ein Gips nicht nass werden. Wir versuchten, ihn mit einer Plastiktüte vor Wasser zu schützen, so wie wir es auch bei Regen gemacht haben.
Spoiler: Es funktionierte nicht wie erhofft. Nach dem Festival war der Gips völlig durchnässt und zeigte an mehreren Stellen bereits erste Auflösungserscheinungen. Da für das Trocknen keine Zeit blieb und der Rückflug in weniger als 24 Stunden anstand, war ein Besuch im Krankenhaus für einen neuen Gips keine praktikable Option. Also entschied ich mich für die (un)vernünftigste Möglichkeit und setzte mich mit einer Bastelschere in eine Toilettenkabine in unserem Hostel, um den Gips selbst zu entfernen. Nach 1 ½ Stunden und zahlreichen Krämpfen in den Händen war ich endlich befreit, und mein "Klotz am Bein" landete im Müll.