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Fallas – Dos lados de la moneda

Lina KöhlerCulture Clash, 2024, Begegnungen, Erlebnis, Länder & Sitten Leave a Comment

Fallas - Dos lados de la moneda

Gefangen zwischen spanischer Kultur und deutscher Wahrnehmung
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18. Januar 2024
„Ich habe Angst zerquetscht zu werden. Ich habe Angst überrannt zu werden. Ich habe Angst zertrampelt zu werden.“, denke ich mir. Vor mir sind Menschen. Links und rechts von mir sind Menschen. Hinter mir sind Menschen. Ich weiß, dass es hunderte, nein tausende sein müssen. Ein Mann steht hinter mir und schiebt mich mit seinem Bauch voran. Das ist die einzige Richtung, in die ich mich langsam bewegen kann: immer vorwärts. Ich bin zu klein, um etwas zu sehen und muss der Menschenmasse vertrauen. Der Lärm, die Stimmen sind ohrenbetäubend, ich kann meine Freunde kaum hören. Ich kann ihnen nur mit den Augen folgen und gerade so die Hand meiner Freundin festhalten. „Sie ist mein Rettungsanker.“, weiß ich mit Sicherheit.
fallas
Wenige Stunden zuvor am selben Tag aß und trank Lina ausgiebig. Sie hörte fröhliche Musik und tanzte. Sie lachte mit ihren Freunden. Gemeinsam gingen sie durch die Straßen der Stadt und schauten sich übermenschlich große, bunte Figuren an. An der anderen Straße hielten sie an, denn sie war gesperrt. Sie warteten geduldig und hörten schon von Weitem Musik, die von einer marschierenden Liveband gespielt wurde. Dann sahen sie ganz viele Menschen, Familien mit ihren Kindern in traditionellen wunderschönen Trachten. Sie trugen sie mit Stolz und lächelten den Zuschauern zu. Für die Kinder verteilten sie während der Parade Süßigkeiten.
Einmal ich. Und kurz zuvor auch ich. Beide Male Lina.

Wie kann man mit nur wenigen Stunden Abstand so unterschiedlich fühlen?
Wie können zwei so verschiedene Situationen zusammengehören?

Valencia

Wir sind in Valencia, in der Hauptstadt der „Comunidad Valenciana“ an der Ostküste Spaniens. Zurzeit herrscht Frühling, es ist März. Die Fallas Feierlichkeiten finden statt. Und ich bin zwischen spanischer Kultur und deutscher Wahrnehmung gefangen.

las fallas

Das Frühlingsfest beginnt jährlich am 15. März und feiert zum Josefstag, dem 19. März, seinen Höhepunkt. Traditionell tragen die Frauen am zweiten Sonntag des Monats Blumen von der Kirche zum "Plaza de la Virgen", wo eine Figur der Jungfrau Maria aus Holz steht. Um sie zu ehren, findet eine Prozession statt, bei der ihr Kleid mit den Blumensträußen kreiert wird. Außerdem gibt es sogenannte Fallasvereine, die riesige Figuren aus Pappmaché, Styropor und Holz anfertigen (Fallas). Sie werden zu verschiedenen Themen erstellt ohne eine direkte Vorgabe. Meistens kritisieren sie auf satirische Art und Weise Personen aus der Politik und Gesellschaft. Die Vereine treten in einem Wettbewerb um die größte Figur gegeneinander an. Dabei gibt es zwei Kategorien und die großen Figuren werden für die Erwachsenen und die kleinen für die Kinder erstellt. Am letzten Tag des Festes werden die Fallas bei der Cremá angezündet und nur die beiden Gewinner bleiben stehen, um anschließend im Museum des Ortes ausgestellt zu werden. Das Besondere sind außerdem die täglichen Mascletás, welche um die Mittagszeit veranstaltete Konzerte aus Schießpulver- Explosionen sind. Nachts bieten Feuerwerk und Lichtershows jeden Tag einen Abschluss.

Gedanken

Es ist beeindruckend. Es ist hinreißend. Aber eine irgendwie deutsche Korrektheit bahnt sich drängend immer wieder ihren Weg in meinen Kopf und überwiegt das Gefühl der Überwältigung:

Ist das nicht Geldverschwendung?
Unnötige und gedankenlose Umweltverschmutzung?

Verstehen

Diese Fragen habe ich mir am ersten Tag der Fallas immer wieder aufs Neue gestellt. Meine Freunde sehen das ganze Fest ebenso durch die Augen von Touristen und haben zu Beginn die gleiche Meinung wie ich. Mit zunehmender Zeit jedoch merkt unsere kulturell bunt gemischte Gruppe welche Lebensfreude die Spanier versprühten. Wir werfen einen genaueren Blick auf die Fallasfiguren und erkennen die Mühe und Arbeit sowie Leidenschaft, die dahintersteckt. Wir belesen und informieren uns, um den Hintergrund zu erfahren. Am Ende der Woche können wir das Fest in vollen Zügen genießen, doch die Bedeutung der Fallas verstehen wir trotzdem nur ansatzweise.

Perspektivwechsel

Ich will die andere Sicht und die jahrelang gewachsene Tradition der Menschen hier besser verstehen. Ich will mehr Zugang dazu bekommen. Also frage ich Marc López Zambrana. Er ist 22 Jahre alt, hier aufgewachsen und erzählt über sein Erleben der Fallas.

Questions

Why do you like the Fallas so much? What is your highlight about it?

“Fallas is probably the most well-known celebration in the Valencian Community. I like to eat churros with chocolate, to see fireworks and some of the characterisations that can be found in the different Fallas. The rest is not very nice in my opinion, too many people on the streets, too much noise, people in adverse conditions. Probably the highlight is the Cremá day when they burn every Fallas or the daily mascletas.” - Marc López Zambrana

    What do you think about building up the Fallas figures and then burning them at the last day? Isn't it money spent and then burned?

      “That's a controversial issue. Normally not economical but environmental. I think they are changing the materials to pollute less. The contamination due to Fallas is insignificant. And talking about the money, our community is not rich for its agricultural, industrial or technological sector. We depend so much on tourism and the service sector. Fallas is very famous and the community earns a lot of money. So, it's not money lost, burning the Fallas on the last day. It is a great source of income because of all the events that take place around it." - Marc López Zambrana

      What can you tell about the history and tradition of the Fallas? Why is it so important in the region of Valencia?

      “It's a tradition. I think it's been done for hundreds of years. It's important because it is our tradition. No one else in Spain do Fallas like we do. It's what makes us different from the rest. Making noise and burning things, makes curious. I have to say that I don't know many people who really like the celebration of Fallas, but what they like is what they do during the Fallas like the parties, being with friends and all that.” - Marc López Zambrana

      Wie kann es sein, dass er sich in seinem eigenen Land fremd fühlt?
      Wieso passt er nicht zu dem Bild in meinem Kopf?

      Ich stehe zwischen tausenden von feiernden Menschen, die zu lauter Musik auf der Straße tanzen, Churros essen und lachen. Ich sehe Menschen Zeit mit ihren Freunden verbringen. Sie sehen glücklich und sorglos aus. Ich beobachte Menschen, die unachtsam ihren Müll auf die riesigen Berge neben den Mülleimern werfen. Ich mache mir ein Bild im Kopf von den Spaniern und speichere es gedanklich ab. Ich entwickele eine negative Einstellung. Ich fühle mich deutsch und fremd.
      churros
      Ich lese mir die Antworten von Marc durch und bin überrascht. Er ist ein echter Spanier und dazu noch aus Valencia. Er sollte die Fallas doch mögen und positiv empfinden. Er passt nicht zu dem Bild aus meinem Kopf. Ich habe gedacht, dass ich es bin, die nicht in die spanische Kultur passt und „zu deutsch“ ist. Ich war der felsenfesten Überzeugung, dass der Großteil der Menschen in Valencia sehr viel von den eigenen Traditionen, und somit auch von den Fallas, hält. Doch Marc hat mir mit seinen kritischen Antworten gezeigt, dass es nicht die „Valencianer“ sind, die alle gleich denken.
      Einmal ich in Spanien. Und danach auch ich, wieder in Deutschland.

      Er hat mir vor Augen geführt, dass man nicht in schwarz und weiß denken kann. Er hat mir bewusst gemacht, dass es nicht immer nur zwei Seiten gibt. Es sind meistens zwei Seiten, ein und derselben Medaille (dos lados de la moneda).

      © credits bilder
      (c) Paula Fenollera. (2021). Unsplash.
      (c) Lucas Davies. (2018). Unsplash.
      (c) Paula Hauptmann. (2023). Eigene Bilder.

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