Die Welt-WG
Das 10er Hostel Zimmer
Ich werde unsanft aus dem Schlaf gerissen. Irgendwo klingelt zum fünften Mal ein Wecker. Was ist das für ein Klingelton? Nicht meiner, mein Handy liegt neben mir. Und generell bin ich nicht in der psychischen Verfassung, dass ich Britney Spears „Baby One More Time“ als Klingelton einstellen würde. Gezwungenermaßen öffne ich die Augen und schaue mich in meinen eigenen 80 cm breiten Königreich um. Langsam begreife ich wieder, wo ich bin. Meine Freundin und ich sind gestern Nacht in einem Hostel in Sevilla angekommen, eine der schönsten Städte Andalusiens.
Ich fühle mich bei der ganzen Sache noch etwas unbehaglich, denn ich habe noch nie in einem Hostel geschlafen. Natürlich nur, wenn man von den Jugendherbergen absieht, in die man während der Schulzeit verschleppt worden ist. Es ist schon 9 Uhr, ich beschließe Zähne putzen zu gehen. Ich schiebe meine Bettgardine zur Seite und betrachte das 10er Zimmer. Warum sind die Betten denn so verdammt hoch gestapelt? Wie soll ich da hochkommen, wenn es doch mal etwas zu viel Sangria gab? Unter Todesangst klettere ich die Leiter herunter und betrete das einzige Badezimmer. Keine Minute später bekomme ich Besuch. Eine braungebrannte junge Frau gesellt sich zu mir und putzt sich neben mir ihre Zähne. Ungewollt erfahre ich ihren Namen (Sofia), Alter (23), Herkunft (Bolivien), Geburtsdatum (23.1.1999) und die halbe Lebensgeschichte. Argwöhnisch stelle ich fest, wie ich mit dieser fremden Frau einen so intimen Moment wie Zähneputzen teilen darf. Personal Space ist in Bolivien anscheinend ein Fremdwort, aber das wusste ich ja bereits aus den kulturspezifischen Seminaren meines Studiums. Trotzdem ist es noch einmal anders das hautnah (haha) zu erleben.
Das Frühstück
Zurück im Zimmer ist meine Freundin auch aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht. Mit einem Blick auf den Balkon erkenne ich auch den Grund dafür. Eine Amerikanerin steht dort und telefoniert auf maximaler Lautstärke mit ihrer Mutter (Stacy, ich finde auch du solltest dich bei deiner Schwester entschuldigen). Um diesen Schwall an Worten zu entkommen, flüchten wir in die Hostelküche. Glücklicherweise haben wir uns gestern auf dem Weg noch belegte Brötchen gekauft, sodass wir unser Frühstück schon parat haben. Zusammen mit einem Kaffee ist das schon fast ein Festmahl. Obwohl die Küche augenscheinlich sauber ist, riecht es seltsam. Ein indisch aussehender junger Mann fragt uns, ob er sich mit zu uns setzen darf. Ich bejahe, bereue dies aber mit Blick auf sein Frühstück. Sieht aus wie Rührei, riecht aber nach Mülltonne. Stolz erklärt er, dass Rührei gemischt mit Thunfisch eine gute Eiweißquelle sei. Stirnrunzelnd google ich diese Mischung und bekomme prompt den Artikel „Schnelles und einfaches Rezept für deinen Hund“ vorgeschlagen. Na dann, guten Appetit.
Die Sightseeing-Tour
Auf dem Plan für heute steht eine Sightseeing-Tour, die von unserem Hostel angeboten wird. Nachdem ich meine Freundin und mich mit 3 Schichten Sonnencreme eingecremt habe, bewegen wir uns Richtung Treffpunkt. Dort angekommen entdecke ich einige bekannte Gesichter. Sofia winkt mich aufgeregt zu sich. Der Tourguide beginnt seine englische Tour auf Spanisch. 2 Minuten später macht ihn jemand darauf aufmerksam. Es geht weiter in einem gebrochenen Englisch. Er führt uns schnellen Schrittes durch ganz Sevilla, bei 34 Grad im Schatten gar nicht so einfach. Als wir am Plaza de España ankommen, tippt mir plötzlich jemand von hinten auf die Schulter. Ich drehe mich um und blicke ins Gesicht einer asiatisch aussehenden Frau. Sie stellt sich als Inara aus der Mongolei vor und bittet mich darum, ein Bild von ihr zu machen. Naja, Bild ist der falsche Ausdruck, eher BildER. Anscheinend habe ich die Aufgabe zu ihrer Zufriedenheit erfüllt, denn ab nun drückt sie mir alle 5 Minuten ihr IPhone 14 in die Hand. Noch während der Tour lädt sie 15 Bilder auf Instagram hoch - sportlich. Die muntere Gruppe des Hostels bewegt sich nun Richtung Kathedrale. Diese ist die größte gotische Kirche Spaniens, dementsprechend gespannt bin ich auf den Besuch. Während der Tourguide in Richtung Ticketschalter verschwindet, stellt sich unsere Gruppe in die lange Warteschlange. Überall hört man fremdsprachige Gesprächsfetzen. Sofia erklärt Inara, warum Bolivien eigentlich schöner ist als Spanien. Zwei Engländer, ebenfalls aus dem Hostel, öffnen ihr zweites Bier. Ein Franzose verwickelt mich in mein Gespräch, mehr als der übliche Small Talk kommt dabei nicht rum. Wo ist eigentlich der Tourguide abgeblieben? Ich schaue mich um und sehe ihn auf uns zu laufen. Sein Blick verrät nichts Gutes. Stammelnd erklärt er, dass er sich anscheinend in der Uhrzeit vertan hat und unsere Tickets seit einer Stunde abgelaufen sind. Nagut, dann geht´s halt wieder zurück zum Hostel.
Ein Pool aus Bier
Happy Hour
The Visit 2.0
Zwischen Shots und Toilettengesprächen
Im Club quetscht sich unsere bunte Truppe an etlichen schwitzenden Menschen vorbei. Einen ähnlichen Geruch kenn ich sonst nur von eiweißhaltigem Frühstück. Es werden ausschließlich spanische Songs gespielt, das stört uns aber wenig, denn dazu kann man wirklich gut tanzen. Die Stimmung wird immer ausgelassener und ich vergesse die Hürden des Tages. Zwischen Shots und Toilettengesprächen lerne ich die anderen besser kennen. Irgendwie haben wir doch mehr gemeinsam als ich dachte. Auch meine Freundin scheint sich prächtig zu amüsieren. Sie lässt gar nicht mehr von Sofias Kumpel los. Naja, warum nicht. Ich habe ja jetzt neue Freunde zum Tanzen. Normalerweise brauche ich immer viel länger, um mich mit Leuten wohlzufühlen. Doch diesmal ist es anders, ich habe das Gefühl ich kenne sie schon ewig.
Fremde Rituale
Der Tag endet, genau wo er angefangen hat: in meinem winzigen Bett. Warte, irgendwas ist falsch. Warum ist es draußen so ruhig? Sonst wird es gerade zur Osterzeit nie leise auf den Straßen Sevillas. Ich wage einen Blick aus dem Fenster und traue meinen Augen kaum. Auf der Straße laufen Gestalten in schwarzen Gewändern mit spitzer Kapuze, zwischendurch erklingt ein Gong. Böse Zungen würden behaupten, es ähnelt dem Ku-Klux-Klan. Kenner wissen, dass das ein Osterumzug zu Ehren Jesu ist. Obwohl ich mich viel mit Kultur auseinandersetze, werde ich immer wieder von manchen Ritualen überrascht.
Liebe zum Chaos
Bildquellen:
Pak, G. (2021). Pexels.
Knöchel, P. (2023). Eigene Illustrationen.