Bild: Düstere, graue Wolken während der Dämmerung in Ghana.

Er und Ich

Benjamin Braun2023, Arbeitswelt, Begegnungen Leave a Comment

Er und Ich

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von Benjamin Braun
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12. Februar 2023

Da liegt er

Kraftlos. Gekrümmt. Sein ganzer Körper bebt.

Ich kann es spüren, kann es fühlen, will es nicht glauben.

Da liegt er … in einem ständigen Hin und Her von zittrigem, schmerzhaftem Schnappatmen. Alles ist wie elektrisiert.

Er liegt da, auf einer zerknitterten Matratze im kleinen Krankenhaus unserer Organisation. Der Junge, den ich täglich zum Kindergarten begleite, den ich motiviere, das englische Alphabet zu lernen.

Der mich jeden Tag zum Lachen bringt.

Seine gebrochenen Seufzer bringen mich in die Realität zurück. Ich bekomme Anweisungen. Bekomme einen kaum mehr feuchten Lappen in die Hand gedrückt.

Ich gehe zum Waschbecken, drehe den Wasserhahn auf und halte geistesabwesend den Lappen darunter. Wasser läuft über meine schwitzenden Hände. Es ist eher lauwarm, wenig erfrischend. Die schwüle Luftfeuchtigkeit zerrt an meinem Körper.

"Put it on his forehead!”

Ich blicke auf, bin vollkommen im Rausch. Der Doktor deutet auf sein verzerrtes Gesicht. Seine blassen Augen, seine ausgebleichten Lippen. Ich gehe zu ihm. Stehe nun ganz neben seinem kleinen, zittrigen Körper. Der Schüttelfrost übernimmt die Kontrolle über ihn. Die Farben in seinem Gesicht scheinen mit jeder Sekunde zu schwinden, sich einfach aufzulösen. Alles passiert so schnell und fühlt sich doch an wie die Ewigkeit.

Da liegt er. Schwach, schutzlos, kraftlos. Minute um Minute vergeht. Die Schweißperlen auf seiner Stirn verschwimmen, versickern im durchnässten Laken.

Der Arzt ruft, er solle schnellstmöglich ins nächste Krankenhaus gebracht werden, denn hier könne er nicht ausreichend behandelt werden – hier gebe es keine Hilfe mehr für ihn.

Ich liege da

Schweißgebadet und zittrig. Kraftlos. Kalte Schauer laufen mir über die Stirn, am Hals entlang, den Rücken herunter. Ich fühle keinen Schmerz.

Liege einfach nur da, den Kopf nach oben gerichtet. Meine Augen sind schwer, kann sie kaum offen halten, geschweige denn in eine Richtung bewegen.

Ich starre an die Decke. Mein Körper zittert, macht kleine wehleidige Bewegungen.

Hin und her, hin und her…

Die Krankenpflegerin tritt in den Raum, viele weiße Zettel in ihren Händen. Ich kann nicht sehen, wie viele. Meine Augen schmerzen bei jedem Versuch sie zu bewegen, alles war trüb. Also starre ich weiter an die rissige Decke. Sie spricht normal, nicht langsam, nicht schnell. Sie meinte, mein Test ergab ein Ergebnis von „drei Plus“. „Drei Plus" steht für die höchste Stufe.

„Wenn Sie heute nicht ins Krankenhaus gekommen wären, wäre es wohl zu spät gewesen“, sagt sie in einem ruhigem Tonfall.

Malaria.

Ich weiß noch, dass ich, bevor ich hierher kam, in unserer Wohnung im Bett lag. Den ganzen Tag ging es mir schon schlecht. Bewegte mich kaum, nur für Toilettengänge und dann und wann mal, um einen Tropfen Wasser abzubekommen. Ich lag einfach nur da, in meinem Bett, ohne alles. Alles drehte sich. Unser Freund schaute öfter bei mir vorbei, gab mir Tabletten, half mir. Aber ich fühlte nur diese endlose Leere. Er sagte, wir würden jetzt ins Krankenhaus fahren – aber ich wollte einfach nur schlafen. „Wir gehen jetzt.“ Also fuhren wir. Mit den Bussen hier zu fahren, ist in gesundem Zustand schon anstrengend, dachte ich mir.

Die letzten Strahlen der schwindenden Sonne in Ghana weichen langsam den hereinbrechenden schwarzen Wolken der Dämmerung.

„Wenn Sie heute nicht ins Krankenhaus gekommen wären, wäre es wohl zu spät gewesen.”

Für ihn war es zu spät.

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