(Finding) Tranquility amidst a world of chaos
Warnung: In diesem Artikel werden sensible Inhalte wie mentale Gesundheit besprochen.
All beginnings are difficult
Um mich herum rauscht es. Menschen unterhalten sich in gedämpften Stimmen. Ich drehe meine Musik lauter, um sie auszublenden. Es riecht nach kaltem Rauch und Schweiß. Ich bekomme eine Sporttasche in den Rücken und kann nur knapp der nachfolgenden Person ausweichen. Ich stoße mit jemand anderen zusammen. Ich versuche mich in meinem gebrochenen Ungarisch zu entschuldigen und ernte nur einen bösen Blick. Sobald ich an meine Station komme, verlasse ich die Metro, wie alle anderen auch. Ausweichen ist unmöglich und ich bekomme mindestens eine Schulter ab. Der Weg bleibt voll, bis ich zur Uni komme. Dort schließe ich mich in die nächste Toilette ein. Hier ist es leer und ruhig und ich kann wieder zu Atem kommen.
Ich wollte für mein Auslandssemester nie in eine Großstadt, doch wie so oft, kommt es anders als geplant. Als ich in Budapest aus dem Nachtzug gestiegen bin, wollte ich am liebsten gleich wieder zurück. Es war laut und dreckig, die Menschen waren unfreundlich und meine Kommilitonin Colleen und ich sind gleich am ersten Tag beinah überfahren worden. Auch in unserer WG war es nicht leicht. Wenn sieben junge Menschen, sechs unterschiedlicher Nationen, plötzlich zusammengewürfelt werden, entstehen schnell Spannungen. Das lässt sich nicht vermeiden. Wäre ich allein nach Ungarn gekommen, hätte ich vermutlich nicht den Mut gehabt, mich mit ihnen zu unterhalten. Generell wäre es schwieriger für mich gewesen, mich mit anderen anzufreunden. Es fiel mir leichter, dort jemanden zu haben, an dem ich mich orientieren konnte und Zeit mit Menschen zu verbringen, die sehr viel extrovertierter waren als ich selbst. Doch kam es für uns beide wohl zu dem Punkt, wo wir wirklich gern nach Hause gefahren wären. Ich hatte die Straßen über, den Lärm, die Menschenmassen. Wir haben viel gesehen in unserer Zeit, doch die Umstellung von Dorf auf Stadt war schwer für mich und hat lang gedauert.
Finding peace
Ich kann frei atmen. Die Luft ist klarer, die endlosen Geräusche der Sirenen und des Verkehrs sind gedämpft. Es ist fast menschenleer auf dem Friedhof gleich um die Ecke unserer Wohnung. Mit seinen opulenten Grabsteinen und Monumenten, die von der Geschichte des Landes zeugen, ist er ein beeindruckender Anblick. Mehr als nur ein Premierminister ist hier begraben. Eine Katze läuft mir entgegen – es ist die erste und auch die letzte freilaufende Katze, die ich in der Stadt sehen werde. Sie streicht mir um die Beine und ich finde meine Ruhe darin sie hinter den Ohren zu kraulen. Als ich schließlich doch weitergehe, folgt sie mir bis zur nächsten Biegung. Ich komme in den verfalleneren Teil des Friedhofs. Hier gehe ich vom Weg ab und laufe durch das Unterholz, bis ich einen halb verfallenen Pavillon finde. Er erinnert mich daran, was ich an dieser Stadt so besonders und schön finde – ich weiß, ich kann nicht ewig bleiben und so gehe ich zurück in den Lärm und das Grau der Stadt, die vielleicht doch nicht so schlecht ist, wie ich denke.
Es war wichtig für mich diese ruhigen Momente in der Hektik der Stadt und der Menschen zu finden und es hat einiges an Zeit gekostet, bis ich einen guten Ausgleich gefunden habe. Meine Freundinnen haben mir sehr geholfen in dieser Zeit. Sie haben mich rausgeholt aus der Wohnung, ich habe viel gesehen, viel gemacht und viel erlebt. Ich wurde mitgerissen in diesem Strom, konnte Erfahrungen sammeln, die ich sonst nie gemacht hätte. Nach einiger Zeit habe ich es genossen durch die Straßen zu gehen, mir die Gässchen und Häuser anzuschauen, die Touristen zu sehen und dabei zu denken, dass ich hier doch eine Art von zu Hause gefunden habe.
Making peace
Es ist noch kalt, doch ich weiß, dass es in wenigen Stunden heißer werden wird – im Sommer ist die Stadt kaum zu ertragen. Doch jetzt ist es noch dämmrig, die Straßen sind ruhig. Es ist die einzige Tageszeit, zu der es in Budapest keinen Lärm gibt. Ich stehe auf der Fischerbastei und sehe, wie die Sonne langsam über dem Rest der Stadt aufgeht. Das rote Licht fällt durch die geschwungenen Fensterbögen. Wir setzen uns in die Fenster und betrachten einfach nur das Farbenschauspiel. Neben uns bekommt eine junge Frau einen Heiratsantrag. Wir verpassen es beinah, weil wir so abgelenkt sind. Ich weiß es erst jetzt beim Schreiben dieses Beitrages, doch das ist der Moment, in dem ich Frieden mit der Stadt geschlossen habe.
Ich kann nicht leugnen, dass es schwierig für mich war. An manchen Tagen ist es mir schwergefallen die Wohnung zu verlassen. Budapest ist eine äußerst laute Stadt voller Leben, doch auch gleichzeitig unglaublich anstrengend für Menschen wie mich, die ruhige Orte bevorzugen. Genau deshalb habe ich die Stadt am Morgen lieben gelernt. In aller Frühe bevor der Alltag Fahrt aufnimmt, hatte man die Stadt beinah für sich allein und sie hat eine unglaubliche Ruhe und Magie ausgestrahlt. Der Blick über die Stadt beim Sonnenaufgang ist atemberaubend und die kleinen und leeren Straßen und Gässchen haben eine Ausgeglichenheit verraten, wie es die häufig besuchten Orte nie vermochten. Ich mag Budapest vielleicht nicht so empfinden wie die Touristen oder die Menschen in Bars und auf Partys, doch ich habe die Stadt auf meine ganz eigene Art und Weise lieben gelernt. In den Parks, auf den Friedhöfen, in den Innenhöfen.
Ich habe mich manchmal einsam und fremd nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in mir selbst gefühlt. Doch ich kann von mir behaupten daran gewachsen zu sein. Die Menschen, mit denen ich zusammen war, haben mir geholfen meinen Mut zu finden. Jeden Tag aufs Neue bin ich über mich hinausgewachsen, in Dingen, die für andere vielleicht nicht der Rede wert sind.
Ich habe viel gelernt in Budapest. Ich kann meine Erfahrungen vielleicht nicht mit den Abenteuern anderer vergleichen, doch wenn ich jetzt darüber nachdenke, weiß ich auch: Ich muss es gar nicht. Ich weiß nun, dass ich mich nicht verstecken muss. Ich habe gelernt mich nicht immer mit anderen zu vergleichen. Ich muss nicht unbedingt mein Leben unter vielen Menschen verbringen. Doch ich habe auch gelernt mich zu öffnen, einen Schritt zu machen und mein Bestes zu geben, um die Menschen, denen ich begegnet bin, kennenzulernen. Auch wenn es lange anders war, bin ich doch unglaublich dankbar für die Möglichkeit in Budapest gewesen zu sein und vor allem für Colleen und die Menschen, die mich auf diesem Weg begleitet, mir Mut gegeben und mich immer unterstützt haben.
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