2022, Culture Clash, Erlebnis

VIVA LA ESPONTANIDAD

Jennifer StrübigErlebnis, 2022, Culture Clash 3 Comments

VIVA LA ESPONTANIDAD

Meine Trauung in den Anden
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31. Januar 2024
Wenn es ums Heiraten geht, denken die meisten wahrscheinlich an eine Braut im weißen Kleid, der Bräutigam im schicken Smoking, einen festlich geschmückten Saal, Blumenkinder, weiße Tauben und fliegende Luftballons. In den westlichen Ländern assoziieren wir Heiraten mit Romantik und purem Liebesglück. Absolutes Must-have: Die Eheringe als materielles Zeichen und Sichtbarkeit der Verbundenheit. Alles soll perfekt sein – Für jedes Paar auf seine ganz eigene Art und Weise. Auch ich stellte mir meine Hochzeit immer so vor.

doch nun stehe ich hier...

… mitten in den peruanischen Anden, abends um zwanzig nach acht - In meinem schwarzen Wintermantel, Jeans und Schal. Meine Füße stecken in Vans, statt in weißen Pumps. Es ist kalt und bereits dunkel. Es ist laut. Hinter mir zu traditioneller Musik tanzende, betrunkene Menschen. Vor mir das Rathaus von Tantará, einem kleinen Dorf in 2800 Metern Höhe. Wo andere eine Stylistin haben, die ihnen die Haare prachtvoll hochsteckt und ihnen ihr Braut-Make-Up zaubert, habe ich mir meine Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden und meine vom Schlafmangel gezeichneten Lider mit einer Schicht Concealer bedeckt. Viel mehr Zeit blieb mir nicht, denn wir erfuhren erst um 17 Uhr, dass wir noch heute heiraten werden.

Eigentlich ist dies sogar jetzt gerade noch nicht sicher…

Als ich vor 20 Minuten am Rathaus ankam, warteten dort zwar die engsten Verwandten meines Verlobten, er selbst und sein Vater jedoch, sind noch nicht wieder da. Dass der Bürgermeister, der uns trauen soll, nicht am Rathaus erschienen ist, weiß ich als Einzige nicht. Sie sind losgelaufen, um ihn zu suchen.

Und während ich warte und nicht weiß, wie dieser Abend für uns ausgehen wird...

… bin ich nervös, bin ich glücklich. Und zugleich bin ich traurig und fühle mich ein bisschen allein, weil ich tausende Kilometer weit weg bin – Von meiner Familie und von dem, was ich kenne, was mir vertraut ist. Auch im übertragenen Sinne bin ich meilenweit entfernt davon, wie ich meine Hochzeit erleben wollte. In mir herrscht ein reines Gefühlschaos. Das ist er also, mein großer Tag. Aufregend. Und doch waren es nicht wir, die heute im Mittelpunkt des Geschehens standen, sondern das alljährliche Jubiläumsfest des kleinen Dorfes. Viele sind hier aufgewachsen und nun von weit her  angereist, um eine Woche lang Tag und Nacht mit Freunden und Verwandten zu feiern, in Nostalgie zu schwelgen und die Traditionen ihrer Vorfahren zu ehren. So auch die Familie meines Verlobten. Den hin und wieder in mir aufkommenden Hauch von Enttäuschung und Wehmut darüber, schiebe ich weg und passe mich an. Akzeptanz. Toleranz. Die Dinge so nehmen wie sie sind, ohne sie zu bewerten - Mittlerweile gelingt mir das ganz gut, denn ich hatte sieben Monate Zeit, mich darin zu üben.

Trauung als Freundschaftsdienst

20:30 Uhr. Gott sei Dank – Da kommen sie! Alle atmen auf, als der Bürgermeister uns gut gelaunt begrüßt und uns die Treppe hinauf in sein Büro weist. Dass dieser bis zu dem Moment, an dem mein Verlobter und sein Vater ihn zuhause aufsuchten, nach wie vor nichts von unserer bevorstehenden Trauung wusste und deshalb nicht erschienen war, wurde mir in seiner improvisierten Traurede bewusst. Für ihn war das Ereignis ein Freundschaftsdienst, den er meinem Schwiegervater erwies.

We did it!

21:00 Uhr

Ich bin überglücklich, die Müdigkeit und Anspannung sind wie weggeblasen. Es ist mir egal, dass es keine Feier gibt und ich bin froh, meinen warmen Mantel statt eines Kleides zu tragen. Wir stoßen mit Cola in Plastikbechern an und es regnet rote Linsen auf uns, die die Verwandten in die Luft werfen. Sie sollen Glück und Segen bringen. Wochenlang haben wir alles dafür getan, um uns diesen Moment entgegen allen Widrigkeiten zu ermöglichen. Unsere Art der Eheschließung, war jedoch auch für peruanische Verhältnisse nicht üblich, sondern wurde von uns bewusst so entschieden. In Peru wird gerne und oft ausgiebig gefeiert. Eine Hochzeitsfeier konnten wir uns jedoch (noch) nicht leisten. Auch keine Eheringe. – Doch viel wichtiger ist das, was man nicht sehen kann: Die Verbindung, das unsichtbare Band, dass die zwei Heiratenden vereint: Die Liebe. Über alle Kontinente und Grenzen hinweg.
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    „Eines Menschen Heimat ist auf keiner Landkarte zu finden, nur in den Herzen der Menschen, die ihn lieben.“

     

    Vor meiner Abreise, schenkte meine Oma mir ein kleines Notizbuch zum Aufschreiben meiner Erlebnisse. Auf die erste Seite, schrieb sie diesen Spruch – Als ob sie es geahnt hätte. Dass ich während meines Auslandssemesters auf der anderen Seite der Erde die große Liebe finden und sie direkt heiraten würde, war natürlich nicht Teil meiner Vorstellungen davon, was ich im „Land der Inka“ erleben wollte. Doch so ist es ja meistens mit den großen Dingen im Leben – Sie passieren, wenn wir am wenigsten mit ihnen rechnen. Und sie nehmen keine Rücksicht darauf, ob sie uns gerade in unsere aktuelle Lebenssituation passen, ob wir sie uns so vorgestellt hatten, ob wir bereit für sie sind. Und dann liegt es an uns, ob wir uns darauf einlassen, wir das Risiko eingehen, unserem Herzen folgen. Ob wir unsere eigenen Erwartungen überwinden und die Herausforderungen annehmen – Damit vielleicht noch viel schönere Dinge entstehen können, als wir uns vorgestellt hatten. Ungewohntes, Unbekanntes zulassen, sich öffnen und von Konventionen lösen, auch wenn es schwierig ist - Hätten mein Mann und ich uns nicht für diese Achterbahnfahrt entschieden, hätten wir das bisher verrückteste und besonderste Erlebnis unseres Lebens verpasst.

    Kommentare 3

    1. Hallo Jenni,
      Ich hoffe du kennst mich noch, hier ist Anna-Lena. Ich musste oft an dich denken und habe mich immer gefragt, was du so machst. Ist ja schon ein paar Jahre her dass wir uns gesehen haben 🙂 Ich dachte ich google dich mal und da habe ich deinen Blog gefunden. Es freut mich so sehr zu sehen was du für ein tolles,aufregendes und glückliches Leben lebst! Ich wusste damals schon, dass du irgendwann mal die Welt bereist und viel neues kennenlernen wirst. Du warst schon immer so ein offener, herzlicher Mensch, schon als Teenie 😉
      Ich wünsche dir und deinem Ehemann alles alles Liebe! Ganz liebe Grüße! Anna 🙂

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