When the vacation ends
Discovering Life in a Foreign CityZugfahrt nach Budapest
Es ist der 31. Januar 2024. Meine Eltern und ich stehen um 21:30 Uhr am Bahngleis des Dresdner Hauptbahnhofs und warten auf meine Kommilitonin Liv. Neben mir befindet sich mein Reiserucksack und ein riesiger grüner Koffer - darin enthalten: alles, was ich für die nächsten fünf Monate brauche.
Nach kurzer Zeit des Wartens erreichen uns Liv und ihre Familie. Kurz darauf fährt auch schon unser Nachtzug nach Budapest ein und wir treten die fast elfstündige Reise in unser neues Zuhause auf Zeit an.
Ankunft
In unserer Zweier-Kabine ist aufgrund unseres Gepäcks wenig Platz und wir können gerade noch so die Leiter, welche hinauf zu meinem Bett führt, aufstellen. Wir sind aufgeregt, nervös und etwas überfordert. An Schlaf ist nicht wirklich zu denken und so kommen wir, ziemlich übermüdet, gegen 8:00 Uhr am Bahnhof Budapest Nyugati an.
Die Stadt, Kultur und Sprache sind uns fremd. Wir finden den Ticketautomaten für die öffentlichen Verkehrsmittel nicht. Nach einiger Zeit können wir eine englischsprachige Person ausfindig machen, die uns erklärt, dass wir hinunter in die Metro müssen.
Zu Hause in der Fremde
In der Bar ‘Szimpla Mini‘Das Gefühl von Urlaub
Die nächsten vier Wochen sind geprägt von neuen Erfahrungen, etwas Überforderung und purem Urlaubsfeeling. Unsere Vorlesungen haben gerade erst begonnen und wir können vieles in der Stadt entdecken. In einer Bar sehe ich zufällig einen "Medienforum Mittweida"-Sticker an der Wand und wir brechen in hysterisches Gelächter aus - das haben wir so weit weg von zu Hause nicht erwartet. Unsere Tage verbringen wir mit Sightseeing und ich versuche währenddessen die ungarische Kultur zu verstehen.
Hier ein paar Eindrücke der Stadt:
Angekommen in der realität
Schon zu Beginn fällt mir beim Einkaufen auf, dass die einheimischen KassiererInnen mein Englisch zwar verstehen, mir aber nicht in derselben Sprache antworten wollen. Vor allem bei den Selbstbedienungskassen brauche ich am Anfang teilweise Hilfe. Sobald ich jedoch mit einer Person spreche, bekomme ich nur ungarische Antworten und werde ausgelacht. Mit meinem Englisch komme ich nicht weit.
Später lerne ich bei einer meiner Professorinnen, dass die Ungarn durch den geschichtlichen Hintergrund ihres Landes, geprägt von Revolutionen und territorialen Veränderungen, skeptisch gegenüber fremden Menschen sind und deshalb nicht in Englisch kommunizieren wollen. Dies ist auch der Grund für die scheinbar immer existierende Schwermut und Melancholie der Menschen. Ein Lächeln bekommt man selten zu Gesicht.
Die negative Grundstimmung der Stadt, die spürbare Unzufriedenheit der Menschen und einige interkulturelle Schwierigkeiten innerhalb unserer Siebener-WG, färben bereits nach kurzer Zeit auf mich ab. Dazu kommen die schlechte Luft, fehlende Grünflächen und das graue Erscheinungsbild Budapests. Durch die vielen Menschen ist es an jeder Ecke laut und ich befinde mich täglich in Situationen, in denen es mir zu viel wird - etwas, was ich aus Mittweida so nicht kenne.
Stille
Um dem Trubel etwas zu entfliehen, stehen wir eines Morgens um 4:15 Uhr auf, nehmen den nächsten Bus und fahren zur Fischerbastei, auf der anderen Seite der Donau. Um 5:27 Uhr geht die Sonne auf und wir haben einen perfekten Ausblick über die noch schlafende Stadt. Zu jeder anderen Uhrzeit sind massenhaft Menschen an diesem Ort - aber jetzt, in den frühen Morgenstunden, sind es nur ein paar wenige.
Während wir in einem der vielen Fensterbögen sitzen und den mitgebrachten Tee trinken, beobachte ich den Nebel, der über die Stadt hinwegzieht. Die Sonne sorgt für eine einzigartige Stimmung. Das sonst so laute und belebte Budapest ist still und friedlich.
Zwischen Leben und Realität
Im Laufe unseres Aufenthalts lernen Liv und ich uns immer mehr kennen und eine starke Freundschaft entwickelt sich. Wir haben ein ähnliches Gefühlschaos und können die jeweils andere Person sehr gut in ihren Gedanken und Emotionen nachempfinden. Nach ein paar Wochen treffen wir auf Lorena - eine französische Erasmus-Studentin. Mit ihr zusammen erkunden wir Budapest und reisen sogar gemeinsam nach Ljubljana.
Die nächsten Wochen sind geprägt von viel Besuch aus Deutschland, was mein Heimweh und die Freude auf den Flug zurück nach Hause verstärkt. Inzwischen ist Mai und eine unerträgliche Hitze breitet sich in der Stadt aus. Zudem ist die Prüfungsphase sehr stressig und der Workload immens. Seit Beginn des Studiums muss ich wöchentliche Pflichtaufgaben abgeben, die in die Kursbewertung mit einfließen. Einige davon sind Gruppenarbeiten, was sich als Herausforderung darstellt, da meine Teammitglieder nichts zur Aufgabenlösung beitragen - ich stelle also alles allein fertig.
Abreise
Einige Wochen später stehe ich mit Lorena am Flughafen. Einen Tag vorher verabschiedeten wir bereits Liv an der FlixBus-Haltestelle.
In der Schlange der Sicherheitskontrolle muss ich anfangen zu weinen und all die Erlebnisse, Emotionen und Gedanken der letzten Monate kreisen in meinem Kopf. Budapest hat mir in vielerlei Hinsicht aufgezeigt, was es bedeutet, fremd zu sein, niemanden zu kennen und sich in einer anderen Stadt auf lange Sicht selbst zurechtfinden zu müssen.
Blick über die Stadt
Mein persönliches LieblingsbildFremdheit überwinden
Mittlerweile blicke ich auf mein Auslandssemester zurück und sehe all die herausfordernden Situationen, die ich bewältigen konnte. Das Leben in einer anderen Kultur wirkt vor allem am Anfang sehr ungewohnt und befremdlich. Je mehr Zeit verstreicht, desto mehr findet man sich zurecht und lernt, Situationen und Gegebenheiten zu akzeptieren.
Meine größte Belastungsprobe war das kollektive Bewusstsein ungarischer Menschen über Generationen hinweg. Selbst längst vergangene historische Ereignisse leben in den jungen Teilen der Bevölkerung weiter. Die Skepsis gegenüber fremden Menschen und die pessimistische Grundstimmung wirkt besonders am Anfang beängstigend und abschreckend. Mit der Zeit lernt man jedoch, damit umzugehen und dies nicht mehr allzu aktiv wahrzunehmen.
Perspektivenwechsel
Der eigentliche Grund meines Aufenthalts war das Studium. Dieses war herausfordernd, lieferte mir aber auch wertvolle Erkenntnisse und theoretische Grundlagen. Ich wählte bewusst Module, die kulturwissenschaftlich geprägt waren - somit konnte ich mich in meinem persönlichen Interessengebiet weiterbilden. Trotz des großen Workloads und der anfänglichen Hürden war es die richtige Entscheidung, nach Budapest zu gehen. Die Erfahrung, in einer fremden Stadt zu leben, an dieser zu wachsen, sowie mit neuen Erlebnissen, Erkenntnissen und Erfahrungen aus diesem Abenteuer herauszutreten, war insbesondere für meine eigene Entwicklung sehr wichtig.
Persönliches Wachstum
Ich bin, was unbekannte Situationen angeht, gelassener geworden und stelle mir nicht mehr alle Worst-Case-Szenarien vor, die geschehen könnten. Trotz aller Hürden und anfänglicher Probleme bin ich über mich hinausgewachsen und kann von mir selbst sagen, dass ich das Leben in einer fremden Stadt gemeistert habe. Natürlich sind nicht alle erlebten Situationen mit einer rosa-roten Brille zu betrachten, aber das braucht es gar nicht.
Wichtig ist, die Geschehnisse zu reflektieren und abschließend sagen zu können, dass man mit vielen positiven Emotionen und Gedanken auf das Erlebte zurückblickt - denn das kann ich definitiv von mir behaupten.
Budapest hat mir viel abverlangt, aber im Gegenzug auch sehr viel gegeben. Ich durfte wundervolle Menschen kennenlernen, ein mir unbekanntes Land erkunden, sowie eine wunderschöne Stadt in mein Herz schließen.
Denn das ist Budapest im Endeffekt - eine Stadt mit vielen Facetten.
Kaffeepause
In einem der vielen kleinen CafésAlle Texte und Bilder © 2025 Colleen Träger. Alle Rechte vorbehalten