Wo Feuer vereint
zwischen Chaos und NeuanfangBlitzlichtgewitter, bunte Farben, der Boden zittert – nein, ich befinde mich weder inmitten eines
Erdbebens noch stehe ich auf dem roten Teppich – ich bin in Valencia in Spanien.
Gerade laufen hier die Feierlichkeiten zu Fallas – dem Frühlingsfest, das 3 Wochen lang in der Region zelebriert wird. Die Zeit, in der das Verbot zum öffentlichen Trinken aufgehoben scheint (ja, normalerweise ist das öffentliche Konsumieren von Alkohol in Spanien verboten) und Feuerwerke nach einem Jahr endlich wieder erlaubt sind. Die Straßen sind mit Lichtinstallationen geschmückt und Paraden bestimmen die Tagesordnung. Die Spanier jedenfalls scheinen es auszukosten.
Nach den dreiwöchigen Feierlichkeiten ist die Ausgelassenheit am letzten Abend immer am extremsten. Denn da werden die wunderschönen, bunten und detailreichen Figuren, die sogenannten Fallas, abgebrannt. Dieser Prozess symbolisiert den Neuanfang, Vergangenes hinter sich zu lassen und die Widerstandsfähigkeit der Gemeinschaft.
Man kommt sich vor wie in einem Film.
Rechts und links lassen Kinder Handfeuerwerke knallen, die Polizei steht daneben und schaut zu und die meisten Straßen sind nicht mehr befahrbar.
Es ist wie in einer Anarchie – pures Chaos.
Und doch so schön.
Aber wie kann das sein? Wie kann für mich als durchschnittlicher deutscher Staatsbürger, dem seine Ordnung und Organisation doch so wichtig sind, dieses Chaos gefallen? Im ersten Moment denke ich, es liegt daran, dass es etwas Neues, etwas Ungewohntes, etwas Spektakuläres ist. So eine Art Fest ist mir zu Hause noch nie unter die Nase gekommen. Und im zweiten Moment, ohne dass man weiß wie einem geschieht, reißen Menschenmassen einen mit ins Geschehen. Auf einmal ist man mittendrin.
Durch das ganze Spektakel, die traditionellen Trachten, die laute Musik und die vielen Eindrücke verliere ich mich einen Moment in diesem Rausch.
Doch dann besinne ich mich wieder. Wie bin ich hier gelandet? Ich stehe mitten in den elegant und reich verziert gekleideten Falleras und weiß gar nicht wie ich auf einmal in dieser Parade gelandet bin. Doch dann sehe ich mich um und bemerke, dass meine Freunde in derselben Situation sind. Die Menschenmasse nimmt ein Ende und wir sehen wohin uns der Strom getragen hat - an den Höhepunkt des Abends.
Es ist die Noche de San Juan
oder wie man in Deutschland sagt: Sommersonnenwende.
Sobald die letzten Strahlen der Sonne erlöschen, werden Gruben in den Sand gebuddelt, Holz aufgetürmt und Lagerfeuer errichtet. Binnen einer Stunde leuchtet der ganze Strand wieder auf und die Nacht wird zum Tag gemacht. Ich lasse mir sagen, dass das Feuer Glück bringen soll. Da wir nicht genug Holz für ein Feuer auftreiben konnten, lädt uns eine Gruppe Spanier mit an ihr Feuer ein. Ich habe mich riesig gefreut, denn so ohne brennenden Mittelpunkt hat man sich doch ein bisschen ausgegrenzt gefühlt. Es fühlt sich an, wie das Zusammenkommen vieler großer Familien und hinterlässt in mir ein Gefühl der Wärme und Freude über diesen Abend.
Doch irgendwann beginnen Menschen über ihre Feuer zu springen und ich fühle mich wie bei einem Stamm aus dem Urwald. Oder wie inmitten alter Bräuche aus dem Mittelalter. Wo bin ich denn hier gelandet?
Um Mitternacht nimmt mich meine spanische Freundin an die Hand und wir rennen auf die Wellen zu, genauso wie alle anderen, die am Strand sind. Dieses nächtliche Baden steht für die symbolische Reinigung von den bösen Geistern. Als wir wieder zurück ans Feuer kommen, beginnen die Spanier „Feliz Cumpleaños“ zu singen und ich frage mich wer Geburtstag hat. Aber anscheinend sind wir es, für die gesungen wird. Zunächst denke ich, es könnte daran liegen, dass wir freiwillig in das kalte Wasser gerannt sind. Aber was tut man nicht alles für die ewige Schönheit? Das ist jedenfalls einer der Gründe, warum die Spanier sich mitten in der Nacht in die Wellen stürzen. Das Ständchen haben wir uns allerdings verdient, denn unsere Reinigung war wie eine symbolische Wiedergeburt.
Doch irgendwann endet auch die kürzeste Nacht des Jahres, und nach diesem Abend fühlte ich mich tatsächlich ein bisschen wie neu geboren.