Leben im Hier und Jetzt – doch wie?
"Wir bedanken uns, dass Sie mit uns geflogen sind und wünschen Ihnen einen schönen Aufenthalt."
Jetzt steht es also fest.
Hier bin ich.
Es gibt kein zurück mehr.
Zumindest nicht so schnell.
Einen schönen Aufenthalt - wer's glaubt.
Wie als wäre ich in eine andere Welt versetzt worden. Als hätte ich mein Leben hinter mir gelassen. Ein Leben, welches man sich aufgebaut und lieben gelernt hat. Ein Abschnitt, welcher zu kurz war, um ihn schon jetzt beenden und bereits damit abschließen zu können.
Wer ich bin?
Gute Frage, das wüsste ich auch gern. Bis vor ein paar Stunden dachte ich, es zu wissen. Doch jetzt steige ich aus dem Flugzeug und schon die Luft ist nicht mehr dieselbe. Auch ich fühle mich nicht mehr wie dieselbe. Es ist, als hätte ich einen Teil von mir zurückgelassen.
Wo ich bin?
Es fühlt sich an wie Urlaub, jedoch bin ich zurück in meiner Heimat. Einer Heimat, die einem immer vertraut war, in der man sich jetzt allerdings gleichzeitig fremder fühlt als je in einem Moment zuvor. Die anfängliche Sprachbarriere in meinem Auslandssemester in Spanien ist nicht mit dem Gefühl zu vergleichen, plötzlich jedes einzelne Wort, sei es direkt am Flughafen oder später im Supermarkt, wieder verstehen zu können. Ich frage mich, wie es sein kann, dass es wochenlange Vorbereitungen gibt, um für ein halbes Jahr in einem fremden Land zu leben und einen Kulturschock einzugrenzen, aber keiner einen darauf vorbereitet, nach Hause zurückzukehren. Denn rückblickend ist die Angst vor dem Auslandssemester nicht vergleichbar mit der Angst vor dem Heimkommen.
Doch ich bin mir sicher, dass ein ganzes Leben so aussehen kann, so aussehen sollte. Die Spanier haben mir gezeigt, dass es nicht darauf ankommt, immer pünktlich zu sein. Sondern manchmal ein Gespräch, um die zwischenmenschlichen Beziehungen zu stärken, wichtiger ist. Das Gleiche gilt für alltägliche Themen wie Essenszeiten. Wieso sollte ich um sieben schon Abendbrot essen, wenn doch da erst der Tag richtig losgeht und sich die Stadt allmählich mit Leben füllt? Pläne sollten viel häufiger durch Spontanität ersetzt werden. Man liegt auf der Couch und der Tag neigt sich dem Ende zu? Wieso nicht mit Freunden treffen, an der Strandpromenade tanzen und anschließend sich im Meer abkühlen? Das Leben ist zu kurz, um sich im Alltag zu verlieren. In dem halben Jahr habe ich einerseits viel über Spanien gelernt (ich würde auch sagen, dass ich das Land geografisch nun besser als mein Heimatland Deutschland kenne), aber vor allem auch über mich selbst.
Für viele von uns übertrifft die Zeit im Ausland eindeutig die eigenen Erwartungen. (Was natürlich nicht allzu schwer ist, wenn das einzige Ziel ist, das halbe Jahr, in dem man das erste Mal für solch lange Zeit allein von zu Hause weg ist, zu überleben.) Das genaue Gegenteil ist aber der Fall, wenn wir heimkommen. So war es jedenfalls für mich. In den sechs Monaten hat man das Gefühl, sich so weiterentwickelt zu haben, dass man ein neuer Mensch geworden ist. Es stellte sich heraus, dass es Spaß macht, für sich selbst verantwortlich zu sein und Alleinsein nicht direkt Einsamkeit bedeutet. Ganz im Gegenteil - man hat die Möglichkeit, jederzeit auf die eigenen Bedürfnisse einzugehen und sich selbst zur Priorität zu machen.
Man sagt sich: Lebe den Moment.
Aber anstatt im Hier und Jetzt zu leben, plant man die nächsten Reisen und Ausflüge, um schnellstmöglich wieder den Kick zu verspüren, den das Neue mit sich bringt. Für sechs Monate befand man sich wie im Rausch. Die Adrenalinproduktion war nie vollständig heruntergefahren. Wo man sich hätte fremd fühlen sollen, hat man sich eingelebt und gefühlt als wäre man ein Teil der Gesellschaft. Plötzlich erfüllte mich das Gefühl der Fremdheit in meiner eigentlichen Heimat. Die Welt stand Kopf. Und das Fernweh wurde größer als das Heimweh. Jeder einzelne Tag wurde zu einem Abenteuer. Nie konnte vorausgesagt werden, was man heute erleben wird. Eine Überraschung folgte der anderen.
© CREDITS
Alle Fotos wurden von Paula Hauptmann aufgenommen.