Bild: Nordlichter über einer Eiswüste in Norwegen

One and a half Norwegian

Niklas Friebel2023, Begegnungen, Länder & Sitten Leave a Comment

One and a half Norwegian

Bild: Niklas Friebel
,
12. Februar 2023

7 vs. Wild

Es macht den Anschein so zu sein, wie bei dem YouTube Erfolgs-Format „7 vs. Wild“, bei dem sieben Kandidaten sieben Tage lang in der kalten und unbarmherzigen Natur Schwedens ums Überleben kämpfen – abseits von Zivilisation und Technik. Der Kandidat im TV scheint länger nichts gegessen zu haben. Mit einem Loch im Magen starrt er hoffnungsvoll auf seine Angel.
Ich kuschel mich bei einem kaltem Bier und der fettigen Pizza immer gemütlicher auf meine Couch. Ich sehe dem Typ zu, wie er abermals aufs Neue den leeren Haken aus dem eisigen Wasser zieht, frierend, erschöpft und zutiefst frustriert. Abermals beiße ich von meiner heißen, vor Fett triefenden Pizza ab, spüle sie mit kaltem Bier runter und erhöhe die Lautstärke meines Fernsehers. Passend zum Zeitpunkt, an dem der Typ im TV sich jammernd über seine kalten und durchnässten Füße beschwert. Mit einem Kälteschaudern erinnere ich mich noch allzu gut an diesen Moment. Denn der Typ im TV bin ich!

6 Monate zuvor...

Aufgeregt schaute ich meinen Liebsten noch mal im Rückspiegel meines Autos hinterher. Es war real, ich fahre nach Norwegen. Von Mittweida aus, brach ich auf meiner 11-tägigen Odyssee nach Alta, Norwegen auf. Hier war für die nächsten 6 Monate mein Zuhause. Norwegen, ein Land, was zwar der westlichen Welt angehöhrt und doch ganz anders ist. Die Schönheit der Natur und die Wichtigkeit des Erhalts jener spielen eine essenzielle Rolle. So wunderschön und doch heimtückisch für jeden, der unvorbereitet die wunderschöne Seite Norwegens kennen lernen möchte. Lagerfeuer im Freien, Fjorde und die Gezeiten der Polarnächte faszinierten mich. Die Welt im Norden so vertraut und doch fremd.

Tage davor - Unbeschwertheit

Ich bin Teil des Lebens im Norden geworden. Meine Freunde und ich sahen und erlebten viel. Ich versuchte immer mehr, mich als Norweger zu fühlen und mich als solcher zu integrieren. Ich fühlte mich mit dem Land, den Menschen und der Natur vertraut und verbunden.
Eines Tages fragte mich Marcus, ein norwegischer Freund, welcher mit mir zusammen im Wohnheim in Alta lebte, eine Frage:

"Möchtest du auf ein Abendteuer mitkommen um dich als Norweger zu beweisen?"
Voller Euphorie stimmte ich zu und ehe ich mich versah, kam der Tag, an dem meine beschwerliche Reise begann.

Tag 1
Reise ins Unbekannte

Vollgepackt und ohne Pullka (Ein Schlitten zum Befördern des Gepäcks) stehen wir am Beginn unserer Reise. Ich bin zwar aufgeregt, jedoch denke ich mir, es wird wie ein Campingurlaub mit meinen Freunden und schon nicht so schwer. Ich sollte diese Aussage später bereuen.
Da ich die Planung dem erfahrenem Norweger überlies, wusste ich nicht, wo wir sind, geschweige denn, wie weit wir reisen müssen.
Es geht los, Kilometer für Kilometer, über zugefrorenen Seen und Berge, immer weiter. Die Erschöpfung zerrt an uns und die eisigen Winde erschweren das Vorrankommen. Da es kein Empfang gibt, suchen wir uns unterwegs die traurig aussehenden Stümpfe von Bäumen, um Unterschlupf zu finden und mithilfe eines Kompass und einer Karte zu navigieren. Nichts mit mal eben das Handy rausholen und Google Maps einschalten.

Die Erschöpfung der Reise treibt uns den Hunger bis zum hörbaren Knurren. Wir essen unsere Vorräte, um weiterzukommen. Die Zeit ist gegen uns, da wir vor Einbruch der Nacht ankommen mussten. Stunde um Stunde, Atemzug um Atemzug mühen wir uns ab und bereuen es mit jedem Schritt, keine Pullka zu haben, da das Gewicht der Trekkingrucksäcke das Vorrankommen erschwert.
Gen Abend erreichen wir endlich unseren Spot. Erschöpft bauen wir in der Dämmerung unser Zelt auf. Mit letzter Kraft bohren wir mit einem Eis Drill Löcher in die 1,5 Meter tiefe Eisdecke und präparieren unsere Angeln. Ohne etwas zu essen, legen wir uns in unsere Schlafsäcke und schlafen ein.

    Tag 2
    Die Natur und unser Hunger

    Ich erwache am Morgen, zittere vor Kälte und wurde mir erstmals bewusst, wo ich bin und dass es jetzt ernst wird. Man denkt, man kann sich auf die Kälte vorbereiten, doch das ist ein Irrtum. Instinktiv will ich zu meinem Smartphone greifen und dann realisiere ich, es gibt keine Technik hier draußen.
    Auch wenn wir nur begrenzte Kapazitäten haben, darf aus Gewohnheit eines nicht fehlen: Kaffee. Nach einem erwärmenden heißem Bohnengebräu setzen wir uns an unsere Löcher und beginnen zu angeln. Stunde für Stunde, in der Hoffnung, etwas zu fangen. Die Schönheit und Isolation der Natur hier draußen erdet mich und die 24 Stunden des Tages geben  mir genug Zeit, über Fragen, welche ich mir selbst mitnahm, nachzudenken.

    Nach einiger Zeit wird unsere Hunger größer. Unsere Geduld wird belohnt. Wir danken am Abend schließlich der Natur, da sie uns mit dem Geschenk von frischem Fisch segnet.
    Jedoch stieß ich auf ein weiteres Problem: Die Verdauung. Den Luxus eines Porzellanthrones gewohnt, suche ich mir ein windstille Ecke und schaufle ein Loch, nur um im Anschluss frierend den Trieben meines Körpers nachzugehen.
    Der Tag verging relativ schnell, da wir noch sehr erschöpft sind von unserer Reise und weil die Reitz Vielfalt der neuen Umgebung genug zum Erkunden einlud.

      Tag 3
      Wir und die Zeit

      Die Nacht ist wie erwartet kalt und der Wind peitscht an unser Zelt, was uns dazu trieb, in vollen Winterklamotten aufzustehen. Wir nehmen unsere Jagdmesser und schneiden mit zitternden Händen Blöcke aus dem Schnee um sie um unser Zelt zu schichten. Reihe für Reihe, bei eisigem Sturm.
      Am Morgen spüre ich meine Füße kaum, was mich in Aufruhr bringt und eine enorme Unruhe in mir auslöst. Darauf hin füllen wir gekochtes Wasser in eine Flasche und ich verbringe den restlichen Morgen damit, meine Füße zurück ins Leben zu bringen.
      Dankbar für den Frühstücksfisch ziehe ich mich erneut an, um zu angeln. Doch dieses Mal ist es anders. Der Tag vergeht nicht schnell, im Gegenteil. Ich habe das Gefühl, er wird immer länger. Es ist ein sehr seltsames und befremdliches Gefühl, nicht zu wissen, wie spät es ist. Mir wird allmählich langweilig und die Langeweile zerrt an mir. Keine Technik zum Ablenken, kein Instagram oder Netflix, gar nichts.

      An diesem Tag wird mir bewusst, wie lang ein Tag eigentlich ist und wie wertvoll unsere Zeit ist, wenn wir sie nicht mit stundenlangen Social-Media-Aktivitäten füllen. Die meiste Zeit des Tages lieg ich einfach im Schnee und starre in die unberührte Eiswüste, in der Hoffnung auf Fisch, welcher meinen Magen füllen kann. Im Laufe der Zeit realisiere ich noch etwas: Die Gefahr liegt nicht nur in der Kälte und den Löchern in unseren Mägen, vielmehr in der Sonne. Die senkrechte Sonne wird durch Eis und Schnee reflektiert und verschafft uns enormen Sonnenbrand. Vor dem Trip hätte ich niemals gedacht, dass die Sonne in der arktisch kalten Umgebung, eine so große Herausforderung darstellt.


      Am Abend unterhalten wir uns ausgelassen, essen Fisch und erzählen uns Geschichten. Während wir dies Taten erstrahlt der Himmel in grünem Schein. Aurelia Borealis gleicht einem Geist, welcher uns in Freude und staunen aber auch Ehrfurcht versetzt. Es ist einfach sagenhaft.
      Ich lernte aus meinen Fehler und erwärme mir Wasser, fülle es ab und lege eine selbstgemachte Wärmflasche zu mir in den Schlafsack.

        Tag 4
        Die Abreise

        Gähnend wachen wir noch in der düsteren Umgebung auf. Der Tag der Abreise ist gekommen. Wir essen die letzten Fischreste und bauen unser Camp ab.
        Ein wenig traurig, aber auch dankbar für die Erfahrung, schaue ich von einem erklommenen Berg auf unseren Spot und drehe mich dann um und laufen weiter. Ich stellte mir den Rückweg schwieriger vor, als er letzten Endes ist und vergleiche ihn mit unserer harten Anreise.
        Am Abend kommen wir dann in unserem Wohnheim an. Wir sind noch nie so dankbar und froh über eine warme Dusche, wie an diesem Tag. Marcus schickt mir noch ein paar Bilder, welche er mit dem wenigen Akku seines Smartphones schoss. Anschließend treffen wir uns auf ein Bier und eine Pizza in unserer Stamm-Bar.
        Und so endet mein Abenteuer in der harten Wildnis Norwegens.

          Ich habe 7 vs. wild gemacht

          Mein Bier weiter trinkend auf der Couch liegend, schaltete ich den Fernseher aus und betrachtete meine Erfahrungen retrospektiv. Die Erfahrung, wie schwer eigentlich einfache und banale Dinge sind, fiel mir wieder ein. Mir wurde wieder bewusst, wie dankbar ich für den alltäglichen Luxus bin, eine Dusche zu haben, ein warmes Bett, eine Toilette und den Zugang zu Essen zu jeder Zeit. Bei weiterem schauen der Serie verkniff ich mir besserwisserische Kommentare wie „ist doch alles gar nicht so schwer…“.
          Ich lege mein Handy weg, weit weg, ziehe mich warm an und gehe eine Runde im winterlichen Mittweida spazieren.

          In meinem Kopf nur ein Gedanke:

          Ich habe 7 vs. Wild gemacht!

          Marcus Madsen, mein norwegischer Mentor, erzählt über unseren Trip:
          Bild: Marcus Madsen mit 50 Kilogramm Rucksack auf Ski
          Bildnachweis: Alle Bilder und Medien © Niklas Friebel

          Schreibe einen Kommentar

          Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert