2023, Erlebnis

Wasser atmen.

Gideon Nechemia IsenschmidErlebnis, 2023 Leave a Comment

Wasser atmen.

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6. Februar 2023
Ein kleiner Schauer durchzuckte mich als das kalte Wasser meine wundgelaufenen Füße umschloss. Seit den Morgenstunden waren wir unterwegs gewesen. Einige Berge und Täler lagen hinter meiner Familie und mir. Der kühle Gebirgsbach versprach die lang ersehnte Abkühlung. Mit beiden Füßen im Wasser stehend, blickte ich dem Verlauf des Bachs hinterher. Er wand sich durch kleine und große Ablagerungen von Steinen und verschwand schließlich in einer Schlucht. Links und rechts des Bachs ragten Felswände wie Häuser in den Himmel. Über Jahrhunderte musste der kleine Fluss am Gestein genagt haben, um eine so tiefe Kluft in den Felsen zu graben. Ich konnte spüren, dass dieser Ort ein Abenteuer bürgte, und wie sich die Vorfreude darauf, diesen Ort zu erkunden, in mir rührte. Wir entschieden uns, dem Fluss zwischen den hohen Felswänden entlang zu folgen. Meist reichte mir das Wasser nur bis zum Knie, es gab aber auch einige Stellen, an denen man nicht drumherum kam ein paar Züge zu schwimmen. So auch an einer Stelle bei welcher die Felswände sehr eng beieinander standen.
Mein Bruder und ich entschlossen uns auch noch dort hindurchzuschwimmen, während der Rest unserer Familie vorerst zurückblieb. Wir schwammen durch die enge Felsspalte und unsere Anstrengungen wurden mit einem einmaligen Anblick belohnt. Hinter der engen Stelle tat sich ein kleines Tal auf, in dessen Mitte ein Wasserfall sprudelte. Wir kamen zum perfekten Zeitpunkt an, denn die Sonne schien durch eine Spalte in der Felswand auf den Wasserfall. Ein eleganter Regenbogen spannte sich über die Talausbuchtung. Dieser Anblick war so malerisch und märchenhaft, dass es sich ein wenig so anfühlte als würde die Zeit in dieser kleinen abgekapselten Welt stillstehen.

Nachdem wir diesen Anblick genossen hatten, machten wir uns wieder auf den Rückweg durch das eisige Wasser. Schon nach den ersten Schwimmzügen bemerkte ich, dass diesmal etwas anders war. Die Strömung war deutlich stärker als zuvor. Ich dachte mir nicht viel dabei, da ich schon immer ein guter Schwimmer gewesen und auch schon öfter in kaltem Wasser gegen den Strom geschwommen war. Ich bedachte jedoch nicht, dass ich schon einen langen Tag des Wanderns und körperlicher Anstrengung hinter mir hatte und meine Muskulatur dementsprechend schon ermüdet war. Ich fiel schließlich zurück. Mein Bruder war schon um die Flussbiegung geschwommen und ich hörte seine Stimme nur noch durch den Hall zwischen den Felsspalten.

Plötzlich durchzuckte mich ein Schmerz. Die Muskeln in meiner Wade zogen sich schmerzhaft zusammen. Ich konnte mich noch über Wasser halten und schwamm weiter, wobei ich jetzt mehr Kraft aus meinen Armen einsetzen musste. Nach nur wenigen weiteren Zügen fing auch meine Brust an zu krampfen und ich konnte meine Arme nicht mehr richtig bewegen. Mit dem Bein, das nicht verkrampft war versuchte ich weiter Auftrieb zu erzeugen. Allerdings musste ich schnell feststellen, dass meine Bemühungen nicht reichen würden, um mich über Wasser zu halten.
Ich atmete auf.

Noch immer krampfte mein Körper und ich wusste, dass ich mich nicht länger als für wenige Atemzüge über Wasser halten können würde. Meine einzige Chance lag darin, mich an der Felswand festzuhalten. Diese war jedoch so abgeschliffen und rutschig, dass es nirgends eine Kante gab, an der ich mich hätte hinaufziehen können. Aber ich musste es versuchen. Ich krallte mich mit meinen Fingernägeln in den Felsen. Diese waren vom Wasser aufgeweicht und knickten ab. Mit meinen Händen rutschte ich die Wand immer wieder hinab.

Endlich fanden meine Finger einen kleinen Stein in der Felswand an dem ich mich hinaufziehen konnte. Ich rief in die Felsspalte hinein und hoffte das mein Bruder verstand, was ich sagte. Zu mehr hatte ich die Kraft nicht. Ich rutschte wieder zurück ins Wasser. Wieder musste ich mich an der Wand festkrallen, um mich über Wasser zu halten und so wartete ich. In der Hoffnung, dass mich jemand gehört und verstanden hatte.

Erleichterung überkam mich als nach ein paar Minuten mein Vater kam und mir wieder zurück an Land half. Schwer atmend aber erleichtert saß ich auf einem Stein und starrte auf den Boden. Da entdeckte ich drei hellrote Punkte vor mir und ein vierter tropfte von meinem Arm dazu. Ich blickte auf meine Arme: Sie waren aufgeschürft und aus den Nagelbetten meiner Finger quoll Blut, doch den Schmerz spürte ich nicht mehr.

Stockfootage: Bubbles under water © Gary - AdobeStock; Underwater view of air bubbles © Image Source - AdobeStock RF

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