30. März 2018
Wieder einmal ging der Flieger nach Málaga zum Flughafen AGP. Wieder einmal suchte ich die richtige Musik, den richtigen Film oder auch das richtige Buch für die Zeit im Flieger heraus. Wieder saßen wir zu dritt in einer Reihe, meine Eltern und ich. Zum ersten Mal würden wir Ostern nicht in Deutschland verbringen, sondern in Andalusien, besser gesagt, an der Costa del Sol. Ostern hat in Spanien ähnlich wie in Deutschland eine starke christlicher Bedeutung.
Was soll mich da schon erwarten? Es wird doch alles wie immer, oder?
Wie immer fahren wir an diesem ersten Abend nach unserer Ankunft in Costabella in die Altstadt von Marbella, streifen durch die Gässchen, die uns schon so bekannt sind und bummeln über den „Plaza de los Naranjos“.
Es ist Frühling, ein angenehm milder Abend. Auf dem Platz und in den Gassen tummeln sich viele Menschen. Es wird immer voller und man hat das Gefühl, Jung und Alt ist auf den Beinen. Sie haben sich fein herausgeputzt und man spürt, dass heute noch etwas besonderes bevorsteht. Es ist Karfreitag, der Tag der Kreuzigung von Jesus Christus.
Meine Eltern haben sich auf der Plaza de los Naranjos ein Plätzchen in einem der Straßenrestaurants gesucht und bestellen sich etwas zum Abendessen. Mich treibt die Neugier und ich mache mich allein auf Erkundungstour durch die Gassen der Altstadt, denn ich will wissen, wohin all die Menschen gehen, und was mich dort möglichweise erwarten könnte. Mal folge ich einer Gruppe, mal nehme ich eine andere Abzweigung, bis ich in den oberen Teil der Altstadt von Marbella gelange. Nach und nach wird es ganz ruhig. Die sonst übliche laute Geräuschkulisse von sich unterhaltenden Spaniern und auch die Musik verstummen. In einer schmalen Gasse haben sich schon viele Menschen aufgestellt, um etwas zu beobachten.
Wieder treibt mich meine Neugier nach vorn, bis ich sehen konnte, weshalb alle dort stehen. Sie erwarteten die Karfreitagsprozession.
Ein dumpfes Bum–bum–bum kam immer näher und plötzlich stand ich mittendrin im Geschehen.
Der Zug von Menschen in dunklen Büser-Gewändern, mit spitzen Hüten, barfuß laufend und den Rosenkranz betend bahnte sich den Weg durch die Gassen der Altstadt. Manche trugen Leuchter und die Wappen einer Bruderschaft, andere ein großes Kreuz aus Holz. Am meisten gestaunt habe ich über die übergroßen Statuen des Christus am Kreuz und der Gottesmutter Maria, die jeweils von vielen Männern und Frauen getragen wurden. Während die Prozession an uns vorbei zog, herrschte Totenstille. Die mit Emotionen, Stolz und Glauben gefüllte Atmosphäre ergreift auch mich und verschafft mir ein befremdendes, ja geradezu mystisches Gefühl. So etwas hoch Emotionales habe ich vorher noch nie erlebt.
Diese Begegnung kam für mich so unvorbereitet, weil ich damals noch nicht wusste, welche Bedeutung die „Semana Santa“ für die Spanier besitzt.
Für mich ein besonderes Erlebnis, das mich in die fremde Kultur mit ihren Ritualen und Traditionen tief eintauchen ließ.
14. Juli 2018
Heute ist der Himmel klar über dem Mittelmeer, kein Dunst und keine Wolken sind zu sehen. Da lohnt sich ein Ausflug nach Gibraltar.
Dass in Gibraltar Platzmangel herrscht, wird einem spätestens bei der Suche nach einem Parkplatz bewusst. Auto abgestellt und zu Fuß auf Entdeckungstour durch die Stadt. Die kommt wirklich „very british“ daher mit ihren Pubs, typisch schwarzen Bänken, den Telefonhäuschen oder auch den roten Briefkästen mit der Aufschrift "Royal Mail".
Wir machen uns auf zur Cable-Car, einer Seilbahn, die bis auf den Gipfel des Berges führt. Beim Blick aus dem Fenster der Kabine wird mir ganz komisch, denn weit unter uns erstreckt sich das Meer mit dem Hafen, doch der Ausblick ist so gigantisch, dass ich meine Höhenangst überwinde und mir das nicht entgehen lasse. Oben angekommen, begrüßen uns die typischsten Bewohner des Felsens, die Affen von Gibraltar. Es war eine gute Entscheidung nach Gibraltar zu fahren, denn die Sicht von ganz oben ist an diesem Tag einfach gigantisch gut.
So wie ich da stehe und in Richtung Süden schaue, scheint es nur noch ein Katzensprung bis Afrika. Die Straße von Gibraltar, die Europa an dieser Stelle von Afrika trennt, ist hier nur 14 km breit. Auf dem Wasser verkehren zahlreiche Schiffe zwischen Mittelmeer und Atlantik. Wo beide Meere zusammentreffen, lässt sich an der Farbe des Wassers gut erkennen, denn der Atlantik erscheint dort dunkelblau, das Mittelmeer heller.
Beim Betrachten des Felsens von Gibraltar und des auf der Gegenseite, fällt mir die Geschichte mit dem Tor zum Hades ein. Beide Felsformationen sehen mit etwas Fantasie aus wie zwei Säulen oder eben ein Tor, hinter dem die Unterwelt beginnt. So müssen sich das die Menschen zur damaligen Zeit vorgestellt haben, als es noch keine großen, seetüchtigen Schiffe gab.
Unser Rückweg führt uns durch die Katakomben, eine ehemalige militärische Festungs- und Verteidigungsanlage. Der Felsen ist durchlöchert wie ein Schweizer Käse, überall sind Gänge, Räume und Schießscharten. Es war nicht immer friedlich an diesem Ort und ich verstehe, warum die Engländer Gibraltar als für sie wichtigen Ort unbedingt behalten wollen.
Wir haben inzwischen wieder den Fuß des Felsens erreicht und stehen am Europa-Punkt, dem offiziell südlichsten Punkt Europas. Wie ein Hinweisschild auf die islamische Welt auf der gegenüberliegenden Seite oder eine Einladung zum Besuch Marokkos erstrahlt auf dem Felsplateau eine weiße Moschee mit Minarett. Spanien, England, Marokko – sie liegen so dicht beieinander, werden durch Grenz-, Sprach- und Wasserbarrieren getrennt und sind doch so eng miteinander verbunden durch ihre Geschichte.
29. September 2018
Mit meinem Koffer stehe ich am Schalter im Dresdner Flughafen. Ratet mal, wo es wieder hingeht? Richtig. Nach dem Sommer zieht es uns auch im Herbst nochmal in die Sonne Andalusiens. Diesmal haben wir uns ein wenig Sightseeing vorgenommen. In Málaga, Granada, Sevilla, Mijas und Ronda sind wir schon gewesen, deshalb soll es nun nach Córdoba gehen. Am nächsten Tag sitzen wir in unserem kleinen blauen Peugeot und durchqueren hunderte Kilometer andalusischer Landschaft mit unzähligen Olivenbäumen, kleinen Dörfern und klapprigen Pferden auf vertrockneten Weiden.
Mir geht durch den Kopf, was mich wohl in Córdoba erwarten könnte. Groß sind die Erwartungen nicht, denn schließlich sind die Städte ja alle irgendwie ähnlich – dachte ich. Doch ich werde überrascht, Córdoba ist anders, ganz anders.
Nach erfolgreicher Parkplatzsuche begeben wir uns in die heiße und belebte Innenstadt von Córdoba, überqueren die Brücke, die Puente Romano, die über den Río Guadalquivir führt und schlendern in Richtung der Mezquita, der berühmten Kathedrale von Córdoba, oder ist es eher eine alte Moschee?
Ausgestattet mit einem Audioguide betreten wir das historische Gemäuer und tauchen ein in eine faszinierende, in Stein gefasste Dokumentation der wechselhaften Geschichte Córdobas, die von maurischen und christlichen Epochen erzählt und so auch die Geschichte Andalusiens widerspiegelt.
Während meiner Erkundungstour durch diese heiligen Hallen nehme ich meine bisherigen Denkweisen und Vorurteile immer weiter zurück. Auch als wir die umliegende Altstadt, die Judería (das jüdische Viertel) erkunden, wird mir klar: Córdoba hebt sich ab von den anderen Städten. Hier kann man das ursprüngliche Al Andaluz fühlen und erleben, hier ist das andalusische Flair, geprägt durch die ehemalige maurische Herrschaft, besonders stark.
Überwältigt von den Eindrücken sitzen wir bei Tapas in einer kleinen Bar, die sich in einem Patio befindet. In den bunten Gassen rund um die Mezquita finden sich zahlreiche solcher urspanischen Restaurants. Das gibt mir Gelegenheit, das soeben Erlebte zu reflektieren, die Mezquita, welche zuerst von den islamischen Herrschern als Moschee nach und nach errichtet wurde, die imposante christlichen Kathedrale, die anschließend durch die katholischen Herrscher zum Zeichen ihrer Macht mitten im Herz der Moschee errichtet wurde und nicht zuletzt die Judería, die in der Hoch-Zeit der Religionen rund um die Mezquita entstanden ist. Hier haben drei Religionen über lange Zeit mal mehr und mal weniger friedlich zusammengelebt und ihre Zeugnisse in Architektur, Kultur und Traditionen überliefert.
Andalusien und Córdoba insbesondere, ist ein Schmelztiegel der Kulturen, der beweist, dass es möglich ist, dass Menschen trotz unterschiedlicher Weltanschauung oder ethnischer Herkunft in der Lage sind, sich zu respektieren und miteinander auszukommen.
Da stellt sich mir eine zentrale Frage ...
Alle Texte, Bilder und Medien © 2024 Anne Firmenich. Alle Rechte vorbehalten.
Videotemplate: Envato.com, creativecreed. Musik: Envato.com, AudioZen.
Kommentare 1
Ein sehr lebendiger und inspirierender Beitrag über ein Zuhause, dass man nicht aktiv gesucht und doch gefunden hat.