Der Bazar
Was Orient und Ostblock eintZwei Welten, ein Markt
Zwischen Świnoujście (Swinemünde) und Istanbul liegen etwa 1.800 Kilometer, zwei Zeitzonen und drei Länder. Dennoch verbindet beide Städte ein gemeinsames Merkmal: Sie verfügen über einen Bazar. Der türkische ist weltbekannt, doch über die sogenannten Polenmärkte haben viele Deutsche noch nie etwas gehört. Dabei könnten sie einen Hauch Orient fast direkt vor ihrer Haustür haben!
Denn von Swinemünde an der Ostsee, über den größten Markt in Słubice nahe Frankfurt an der Oder, bis nach Leknica bei Cottbus, finden sich die Märkte, welche ein einzigartiges Shoppingerlebnis aus einer anderen Welt bieten. Doch sind diese Bazare wirklich ein Ersatz für das orientalische Original oder sind nicht beide auf ihre eigene Art und Weise einzigartig? All das erfahrt ihr in diesem Beitrag. Viel Spaß beim Lesen!
Von Sowjets und Sultanen
Historisch, ästhetisch und größenmäßig unterscheiden sich beide Märkte gewaltig. Doch das Prinzip von hunderten Händlern, welche auf engstem Raum um die Gunst der Kunden werben, um ihnen tausende verschiedene Waren anzudrehen, ist dasselbe. Und das, obwohl weder Kultur noch Standort die beiden eint. Dennoch gibt es weitaus mehr Gemeinsamkeiten zwischen den beiden, als manch einer auf den ersten Blick vermuten würde.
Nur ein paar hundert Meter von der Ostsee-Promenade entfernt befindet sich in der Hafenstadt Swinemünde, direkt an der deutschen Grenze, der größte „Polenmarkt“ der Ostsee. Offizielle Details zu diesem gibt es nicht, aber grob geschätzt befinden sich hier auf 18.000 m² etwa 250 – 400 Verkäufer. Die meisten Stände befinden sich im Hauptgebäude, einem sehr heruntergekommenen Lager aus den 1950er-Jahren, aber auch auf der Außenseite tummeln sich zahlreiche Händler. Der postsowjetische Zweitwelt-Charme ist hier auch 30 Jahre nach der Wende noch vorhanden.
Bleche und Bögen
Dass die Überdachung aus Wellblechen und die mit Militärblachen verzierten Wände beim polnischen Markt einen gewissen Charme haben, lässt sich nicht von der Hand weisen. Im Ästhetik-Duell gewinnt aber dennoch der türkische Bazar: Die verzierten, wenn auch renovierungsbedürftigen Steinkuppeln, schützen nicht nur besser vor schlechtem Wetter, sondern sehen auch hübscher aus.
Grässliche Gartenzwerge und gesetzliche Grauzonen in Polen
Polenmärkte sind bei Kennern hauptsächlich für ihre billigen Waren beliebt. Doch, Obacht: Nicht alles ist tatsächlich billiger als auf der anderen Seite der Grenze. Und auch die Qualität einiger Waren lässt sich nur schwer vor dem Kauf überprüfen. Besonders bei Markenware und Lebensmitteln sollte man deshalb besser zwei- oder dreimal hinschauen. Und wie beim modernen Verdränger des Bazars, dem Online-Shopping, gilt auch hier: Wenn der Preis zu gut ist, um wahr zu sein, ist höchstwahrscheinlich etwas an der Produktbeschreibung unwahr. Gelegentlich macht man trotzdem ein Schnäppchen, wenn man sich beispielsweise aufs Feilschen mit den Marktschreiern einlässt. Die meisten osteuropäischen Bazare lassen sich aufgrund des vielfältigen Angebots in drei Sektionen einteilen:
Bio und Öko sind zwar Fremdwörter bei den polnischen Händlern, allerdings nicht, weil sie nur industrielle Massenware verkaufen. Vielmehr ist es für die meisten selbstverständlich, dass ihre Lebensmittel fast ohne chemische und industrielle Hilfe angebaut und geerntet werden. Wer frisches Obst und Gemüse will, ist hier richtig. Beim Fleisch und Fisch sollte man unter Umständen etwas genauer hinschauen, da dieses selbst zu Pandemiezeiten gelegentlich auf dem Betonplattenboden geschnitten und filetiert wird. Auch Käse, Wurst und Kuchen gibt es in allen Größen und Farben. Ob wirklich der lokale Bauer oder ein ausländischer Großbetrieb hinter den Produkten stehen, lässt sich entweder beim Händler erfragen, oder man genehmigt sich vor Ort eine Kostprobe. Doch auch für die Freunde der chemischen Großproduktion ist vorgesorgt: Energy-Drinks, allerlei Süßwaren und massenhaft Konfekt sind in Hülle und Fülle zu finden. Polnische Bonbons sind besonders zu empfehlen: Aufgrund der fremdsprachigen Verpackung weiß man oft nicht, was genau drin ist, wodurch das Geschmackserlebnis zur wahren Überraschung wird.
Manche Stände des Polenmarkts sind wie begehbare Kleiderschänke: Ob teure Markenware, billige No-Name-Produkte, oder billige No-Name-Produkte, die aussehen sollen, wie Markenware; hier ist für wirklich jeden etwas dabei. Ob Leder oder Latex, Jumpsuit oder Jersey oder etwas aus Seide oder Spitze, die Auswahl ist gefühlt endlos. Und wer gleich die passende Uhr oder Brille zu seinem neuen Anzug für 50 Złoty sucht, wird ebenfalls fündig. Ob es sich bei der funkelnden Uhr wirklich um eine Rolex handelt, ist doch egal, solange sie wie eine echte aussieht. Doch das ist längst nicht alles: Vogelhäuschen, Körbchen, Videospiele und von eigentlich allem mindestens etwas ist verfügbar, zumindest wenn man lange genug danach sucht. Denn Ordnung gibt es in diesem Chaos von Verkaufsständen keine.
Das einzige, was in noch größeren Quantitäten als gefälschte Uhren und Bonbons verfügbar ist, sind Zigaretten. Abnehmer gibt es genug, denn der günstige Preis ermutigt selbst Nichtraucher dazu ein oder zwei Packungen für die Verwandtschaft mit bereits geteerten Lungen mitzunehmen. Im Vergleich zu Deutschland kosten die beliebten Tabakstifte hier ein Viertel. Und laut deutschem Gesetz dürfen bis zu 800 davon legal über die Grenze gebracht werden. Das sollte in den meisten Fällen bis zum nächsten Besuch des Bazars ausreichen. Doch während die Einfuhr von Zigaretten noch legitim ist, wird es bei Waffen und Messern schwierig. Denn auch die gibt es hier zu erwerben. Oftmals ist es auf den ersten Blick kaum möglich, die vielen Waffenattrappen von den gelegentlich angebotenen voll funktionstüchtigen Schusswaffen zu unterscheiden. Und bei den Messern wird die gesetzliche Maximallänge der Klinge von 12 Zentimetern oft stark überschritten. Zudem findet sich an der ein oder anderen Stelle zwischen allerlei Altkleidern auch eine Fahne mit bedenklichen Symbolen aus vergangenen Zeiten. Diese sollten nicht nur aufgrund moralischer Bedenken gemieden werden: denn bloß, weil der Kauf von Produkten mit verfassungsfeindliche Symbolen in Polen legal ist, ist der Besitz dieser in Deutschland dennoch illegal. Ebenfalls zögerlich sein sollte man beim Feuerwerk. Die bekannten „Polenböller“ sorgen zwar für eine spektakuläre Himmelsbeleuchtung, enden besonders bei unbekannten Marken, welche von außerhalb der EU importiert wurden, aber öfters in spektakulär schmerzhaften Unfällen. Vorsicht ist deshalb besser als Nachsicht!
Beeindruckende Bauten und berauschende Blüten in der Türkei
Zurück in der Türkei ist im Kapalı Çarşı alles etwas geordneter. An jeder Nebenstraße ist ein anderer Einkaufsbereich angeordnet. Es gibt einen für Tee, Gewürze und Blumen, einen für Süßwaren und Konfekt und einen für allerlei Klamotten. Und in der Mitte des Komplexes, wo sich die ehemaligen Schatzkammern befinden, werden noch heute teure und authentische Gold und Silberwaren verkauft. Zudem gibt es einen äußeren und einen inneren Bereich. Neben der Vielzahl von Produkten sind auch hier Marktschreier anzutreffen, die zum Feilschen motivieren und dem Muezzin Konkurrenz machen.
Außen
Aus der Luft lässt sich das Ausmaß des tatsächlich „Großen Bazars“ besser nachvollziehen. Die Architektur aus dem 15. Jahrhundert ist allerdings nicht immer so standhaft gewesen. Mehrmals kam es in den überwiegend aus Holz bestehenden Ständen in den letzten Jahrhunderten zu schweren Bränden, bis entschieden wurde, einen Teil des Bazars aus Stein zu bauen. Dies sieht nicht nur gut aus, sondern bietet auch mehr Sicherheit vor Feuer, Wind und Wetter. In den letzten Jahren wurden zudem mehrere Milliarden Euro in die Renovierung des Komplexes investiert.
Innen
Zwischen antiken Lampen, teuren Schmuckstücken und noch teureren Gewürzen sucht man verzweifelt nach neumodischer Kleidung oder billiger Elektronik. Im Außenbereich lassen sich diese finden, doch hier drinnen gehen seit Generationen dieselben Händlerfamilien ihrem Handwerk nach. Und sowohl Touristen als auch die Gastronomie und betuchte Bürger kaufen hier Waren für den täglichen Nutzen ein. Alleine der Gesamtwert der Gewürze im Kapalı Çarşı entspricht dem Bruttoinlandsprodukt eines kleinen Landes.
Bleche und Bögen
Ob Ostblock oder Orient: die einzigartige Atmosphäre von Bazaren ist sowohl im Polenmarkt als auch im Kapalı Çarşı spürbar. Ob tonnenweise Zigaretten, meterhohe Gewürzhaufen oder die einzigartige Mentalität der Verkäufer, es gibt nicht bloß einen Faktor, der Bazare so faszinierend macht. Vielmehr ist es das koordinierte und gleichzeitig chaotische Zusammenspiel von ekstatischen Händlern, aufgeregten Touristen und einer Vielfalt von Produkten, wie man sie noch nie gesehen hat. Zumindest nicht in natura. Denn nicht Sicherheitsrisiken, Zollbeschränkungen oder eine weltweite Pandemie sind der größte Feind der Bazare. Es ist das Onlineshopping, mit seiner tatsächlich endlos großen Auswahl, nie endenden Produktvorschlägen und unschlagbarem Komfort. Denn der Besuch eines Bazars ist ein Abenteuer, welches einen in eine fremde Welt eintauchen lässt, die man riechen, schmecken und anfassen kann. Doch statt sich dazu hingezogen zu fühlen, schreckt es Menschen ab. Warum das eigene Wohnzimmer verlassen, wenn die gesamte Welt nur einen faulen Mausklick entfernt ist? Doch nur wer es mindestens einmal erlebt hat, wird wissen, was ihm dadurch entgeht. Deshalb:
Faulenzer aller Länder vereinigt euch und erkundet die Welt so lange ihr noch könnt! Und wenn ihr nicht wisst, wo ihr anfangen sollt, nehmt unsere Website als Inspiration für eure nächste Reise!
Danke für eure Aufmerksamkeit und viel Spaß beim weiteren Erkunden unserer Website.
Bazar in Swinemünde
Kapalı Çarşı in Istanbul
Bildnachweis:
pixabay – Ayhan Oğuzalp;
pixabay – Jana Pawla;
Conny Zschage.
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Conny Zschage.