2022, Begegnungen, Erlebnis, Länder & Sitten

Es ist real.
Ich bin hier.

Laura Krauß2022, Begegnungen, Erlebnis, Länder & Sitten Leave a Comment

Es ist real.
Ich bin hier.

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von Laura Krauß
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25. Januar 2022
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Schon von Weitem höre ich das Knistern, es riecht nach Kaminfeuer.
Die Haare auf meinem gesamten Körper stellen sich trotz der vielen Schichten an Klamotten auf.

Um mich herum tobt es. Die Luft flimmert.
Wir sind nicht allein. Ich höre die Stimmen von überall herkommen. Ich fühle mich klein. Selbst gemeinsam gehen wir in der Masse förmlich unter. Wir werden mitgezogen, schwimmen mit dem Strom. Der Himmel über uns ist rot, die Wolken glühen. Unter unseren Füßen hat sich schon ein rutschiger Pfad gebildet. Er ist steinig, aber wir haben keine andere Wahl. Wir müssen dem Strom, dem Pfad und den Stimmen vertrauen, nur so gelangen wir an unser Ziel.

Wir befinden uns auf dem Weg zu einem aktiv ausbrechenden Vulkan.
Ein Vulkan, der meterhohe Lava spuckt. Die Lava fließt in jede Richtung, den Boden frisst sie einfach auf. Auch der Weg, auf dem wir laufen, existiert bald nicht mehr. Menschenmassen strömen zu dem Naturphänomen.

Und wir sind mittendrin.

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Ob der Weg gefährlich ist?
Das werden wir noch herausfinden.

In Deutschland wäre auf jeden Fall in so einer Situation nichts zu erleben.
Das gesamte Areal wäre mit extremem Sicherheitsabstand abgesperrt.
Es gäbe Warnschilder, vor allem Verbotsschilder, unzählige Vorschriften und Personal, das die Absperrung rund um die Uhr bewacht. Allein die Vorstellung all dessen schürt Angstgefühle.

Aber wir befinden uns im kompletten Gegensatz. Die Ankündigung des Vulkanausbruchs löst zuerst zwar Unbehagen aus. Als aber verkündet wird, es herrsche „geringe Gefahr“, versetzt das die Isländer in pure Vorfreude.

Erdbeben sind in Island nicht unwahrscheinlich, und die betroffenen Menschen rund um den Vulkan müssen viel aushalten. Denn was man nicht einschätzen kann ist, wohin die Lava fließen wird. Ab dem Zeitpunkt des Ausbruches aber besiegt Neugierde die Angst. Proviant wird eingepackt, warme Sachen angezogen, Stirnlampe auf und los geht das Abenteuer zu dem brodelnden, wachsenden Riesen.

Schon ein paar Tage nach dem Ausbruch werden Parkplätze gebaut, Wege abgesteckt und Personal 24/7 zur Verfügung gestellt. Bei aller Coolness: Sicherheit hat größte Priorität.

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Zwei Wochen bricht der Vulkan nun schon rund um die Uhr aus.
Auch wir wollen so etwas einmaliges nicht verpassen.

Um uns herum in Rufweite sind jederzeit Sanitäter zu sehen. Das Handy-Netz zeigt 5 Balken. Wir sind in the middle of nowhere, laufen durch Moosfelder und haben 5G. Mit meinem Smartphone kann ich das nicht mal nutzen. Ich bin technisch sonst eigentlich vorne dabei, aber hier komme ich mir irgendwie oldschool vor.

Während ich durch diese für mich groteske Szenerie laufe denke ich mir: „Was tue ich hier gerade? Wie verrückt ist das?! Ich laufe sehenden Auges zu einem aktiven Vulkan…“

Alles an dieser Situation scheint mir unnormal und verrückt.

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    Ganz Island ist eigentlich ein Vulkan, aber das hier ist schon Next Level.

    Ganz ungefährlich ist es eigentlich nicht, denke ich mir. Aber da bin ich vielleicht auch zu deutsch. In Deutschland haben sie schon vor dem Ausbruch dramatisch von Panik berichtet: Die Isländer hätten große Angst, dass sich der Ausbruch des Eyjafjallajökull von 2010 wiederholt.

    Pustekuchen, die Isländer waren die Ruhe in Person.
    Sie haben die (überteuerten) Sektkorken geknallt als am 19.03.2021 abends die Nachricht kam, der Vulkan Fagradalsfjall sei ausgebrochen. Sofort machten sich einige auf den Weg.

    Angst? Angst war da nie zu spüren.

    Es liegt vor allem daran, dass sie ihre Natur kennen und diese auch zu deuten wissen. Nicht so wie manch waghalsiger und scheinbar selbstsicherer Tourist.

    Die Isländer sind ein Volk, das mit der Natur verbunden ist. Durch ihre Wikinger-Herkunft haben sie gelernt, sich über Jahrhunderte hinweg in rauer Umgebung zurechtzufinden. Sie haben verschiedenste Naturkatastrophen erlebt und sie zu deuten gelernt. Und sie können damit umgehen.
    Deshalb schreckt sie so schnell nichts ab. Sie sind aktiv, und es zieht sie förmlich raus in ihre Natur. In ihrer Freizeit sind die Isländer draußen zu finden. Ihre Naturverbundenheit ist ihnen sehr wichtig.

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    So langsam wird es noch wärmer, denn wir laufen steil bergauf, um uns herum befindet sich gefühlt ganz Island. Der Vulkan ist eine riesen Attraktion, natürlich für die Touristen – aber auch für die Isländer selbst.

    Laut Experten ist es ungefährlich, das Gelände zu betreten – solange man nicht wie manch andere „Experten“ einen Spaziergang über die Lava macht. Der Wanderweg hin zum Vulkan ist ein ständiges auf und ab.

    Der Weg ist mühsam. Es ist schlammig und rutschig. Mir wird heiß.
    Ich schnaufe und muss einige Schichten meiner Trekkingsachen ausziehen. Eine Pause tut gut.

    Die Wärme kommt nicht nur von innen. Mit jedem Meter mehr spürt man die ansteigende Hitze des Vulkans auf der Haut. Ich hole tief Luft. Weiter geht’s. Ohne meine Wanderstöcke wäre ich aufgeschmissen. Wir werden weiter mitgerissen. Der Strom wird schneller. Es geht bergab. Mein Herz pocht. Ich bin aufgeregt und neugierig.

    Die strahlenden Gesichter der Leute die einem entgegenkommen ermutigen, weiter zu laufen. Ich merke, wie ein ganz eigenes Lebensgefühl in mir aufkommt. Ich spüre es. Ich fühle die Natur. Das habe ich so davor noch nie empfunden. Diese Verbundenheit.

    Es ist wichtig, sich mit seiner Umgebung auseinander zu setzen, sie zu spüren und zu verstehen. Auch wenn sie beängstigend ist. Das lehrt mich dieser Weg. Ich wachse über mich hinaus, habe mich noch nie in ein solches gefährliches Abenteuer gestürzt, werde mitgerissen. Durch diese Macht und Gefahr spüre ich die Natur auf eine ganz magische Art und Weise. Ganz nach dem isländischen Sprichwort „Þetta reddast“:

    Alles wird sich auf irgendeine Art und Weise ergeben.

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      Wir sind angekommen.

      Die Hitze brennt uns ins Gesicht. Wir sehen zu, wie die Lava Zentimeter für Zentimeter das Moos verschlingt und sich ausbreitet. Im Hintergrund sieht man den riesigen großen Vulkan, der ständig feuerrote Lava spuckt. Wir sind auf einem anderen Planeten.

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      Tausende Menschen haben sich rings herum auf den Hügeln versammelt und schauen dem Spektakel zu. Manche grillen lachend Würstchen oder Pizza auf der Lava, machen sich Stockbrot. Unglaublich, dass eines der gefährlichsten Naturphänomene so wunderschön sein kann. Ich bin sprachlos.

      Ist das Fremdheit?
      Oder fühle ich mich plötzlich viel vertrauter mit etwas, das ich aus meiner deutschen Heimat nicht kannte?

      Ich schließe für einen Moment meine Augen. Ich atme ein. Ich rieche einen Duft wie von Kaminfeuer und höre das Knistern. Ich spüre die Wärme auf meiner Haut. Sie ist gut. Nicht beängstigend. Ich fühle mich frei.

      Ich sauge den Moment in mich auf und öffne meine Augen.
      Es ist real, ich bin hier.

      Ich lächle.

      Mein Island - Mein Film

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